Warum dieſe Critik nicht eine Critik der reinen
practiſchen, ſondern ſchlechthin der practi-
ſchen Vernunft uͤberhaupt betitelt wird, obgleich der
Parallelism derſelben mit der ſpeculativen das erſtere
zu erfodern ſcheint, daruͤber giebt dieſe Abhandlung
hinreichenden Aufſchluß. Sie ſoll blos darthun, daß
es reine practiſche Vernunft gebe, und critiſirt in
dieſer Abſicht ihr ganzes practiſches Vermoͤgen.
Wenn es ihr hiemit gelingt, ſo bedarf ſie das reine
Vermoͤgen ſelbſt nicht zu critiſiren, um zu ſehen,
ob ſich die Vernunft mit einem ſolchen, als einer blo-
ßen Anmaßung, nicht uͤberſteige (wie es wol mit
der ſpeculativen geſchieht). Denn wenn ſie, als rei-
ne Vernunft, wirklich practiſch iſt, ſo beweiſet ſie ih-
re und ihrer Begriffe Realitaͤt durch die That, und al-
les Vernuͤnfteln wider die Moͤglichkeit, es zu ſeyn, iſt
vergeblich.
Mit dieſem Vermoͤgen ſteht auch die transſcen-
dentale Freyheit nunmehro feſt, und zwar in derjeni-
gen abſoluten Bedeutung genommen, worin die ſpe-
culative Vernunft beym Gebrauche des Begriffs der
Cauſalitaͤt ſie bedurfte, um ſich wider die Antinomie
zu retten, darin ſie unvermeidlich geraͤth, wenn ſie in
der Reihe der Cauſalverbindung ſich das Unbeding-
te denken will, welchen Begriff ſie aber nur problema-
tiſch, als nicht unmoͤglich zu denken, aufſtellen konn-
te, ohne ihm ſeine objective Realitaͤt zu ſichern, ſon-
dern allein, um nicht durch vorgebliche Unmoͤglichkeit
deſſen, was ſie doch wenigſtens als denkbar gelten laſ-
ſen muß, in ihrem Weſen angefochten und in einen
Abgrund des Scepticisms geſtuͤrzt zu werden.
Der Begriff der Freyheit, ſo fern deſſen Reali-
taͤt durch ein apodictiſches Geſetz der practiſchen Ver-
nunft bewieſen iſt, macht nun den Schlußſtein von
dem ganzen Gebaͤude eines Syſtems der reinen, ſelbſt
der ſpeculativen, Vernunft aus, und alle andere Be-
griffe (die von Gott und Unſterblichkeit), welche, als
bloße Ideen, in dieſer ohne Haltung bleiben, ſchlie-
ßen ſich nun an ihn an, und bekommen mit ihm und
durch ihn Beſtand und objective Realitaͤt, d. i. die
Freyheit iſt aber auch die einzige unter allen
Ideen der ſpec. Vernunft, wovon wir die Moͤglich-
keit a priori wiſſen, ohne ſie doch einzuſehen, weil ſie
die Bedingung*) des moraliſchen Geſetzes iſt, welches
wir wiſſen. Die Ideen von Gott und Unſterblich-
keit ſind aber nicht Bedingungen des moraliſchen Ge-
ſetzes, ſondern nur Bedingungen des nothwendigen
Es waͤre allerdings befriedigender fuͤr unſere
ſpeculative Vernunft, ohne dieſen Umſchweif jene Auf-
gaben fuͤr ſich aufzuloͤſen, und ſie als Einſicht zum
practiſchen Gebrauche aufzubewahren; allein es iſt
einmal mit unſerem Vermoͤgen der Speculation nicht
ſo gut beſtellt. Diejenige, welche ſich ſolcher hohen
Erkenntniſſe ruͤhmen, ſollten damit nicht zuruͤckhal-
ten, ſondern ſie oͤffentlich zur Pruͤfung und Hoch-
ſchaͤtzung darſtellen. Sie wollen beweiſen; wohlan!
ſo moͤgen ſie denn beweiſen, und die Critik legt ihnen,
als Siegern, ihre ganze Ruͤſtung zu Fuͤßen. Quid
ſtatis? Nolint. Atqui licet eſſe beatis. — Da ſie al-
ſo in der That nicht wollen, vermuthlich weil ſie nicht
Hier erklaͤrt ſich auch allererſt das Raͤthſel der
Critik, wie man dem uͤberſinnlichen Gebrauche der
Categorien in der Speculation objective Realitaͤt
abſprechen, und ihnen doch, in Anſehung der Objecte
der reinen practiſchen Vernunft, dieſe Realitaͤt zuge-
ſtehen koͤnne; denn vorher muß dieſes nothwendig
inconſequent ausſehen, ſo lange man einen ſolchen
practiſchen Gebrauch nur dem Namen nach kennt.
Wird man aber jetzt durch eine vollſtaͤndige Zergliede-
rung der letzteren inne, daß gedachte Realitaͤt hier
gar auf keine theoretiſche Beſtimmung der Catego-
rien und Erweiterung des Erkenntniſſes zum Ueber-
ſinnlichen hinausgehe, ſondern nur hiedurch gemey-
net ſey, daß ihnen in dieſer Beziehung uͤberall ein
Object zukomme; weil ſie entweder in der nothwen-
digen Willensbeſtimmung a priori enthalten, oder mit
dem Gegenſtande derſelben unzertrennlich verbunden
Hiedurch verſtehe ich auch, warum die erheblich-
ſten Einwuͤrfe wider die Critik, die mir bisher noch
vorgekommen ſind, ſich gerade um dieſe zwey Angel
drehen: nemlich einerſeits, im theoretiſchen Erkennt-
niß geleugnete und im practiſchen behauptete objective
Realitaͤt der auf Noumenen angewandten Categorien,
andererſeits die paradoxe Foderung, ſich als Sub-
ject der Freyheit zum Noumen, zugleich aber auch
in Abſicht auf die Natur zum Phaͤnomen in ſeinem
eigenen empiriſchen Bewußtſeyn zu machen. Denn,
ſo lange man ſich noch keine beſtimmte Begriffe von
Sittlichkeit und Freyheit machte, konnte man nicht
So viel zur Rechtfertigung, warum in dieſem
Werke die Begriffe und Grundſaͤtze der reinen ſpecu-
lativen Vernunft, welche doch ihre beſondere Critik
ſchon erlitten haben, hier hin und wieder nochmals der
Pruͤfung unterworfen werden, welches dem ſyſtema-
tiſchen Gange einer zu errichtenden Wiſſenſchaft ſonſt
nicht wohl geziemet (da abgeurtheilte Sachen billig
nur angefuͤhrt und nicht wiederum in Anregung ge-
bracht werden muͤſſen), doch hier erlaubt, ja noͤthig
war; weil die Vernunft mit jenen Begriffen im Ue-
bergange zu einem ganz anderen Gebrauche betrachtet
wird, als den ſie dort von ihnen machte. Ein ſol-
Ob ein ſolches Syſtem, als hier von der reinen
practiſchen Vernunft aus der Critik der letzteren ent-
wickelt wird, viel oder wenig Muͤhe gemacht habe,
um vornehmlich den rechten Geſichtspunct, aus dem
das Ganze derſelben richtig vorgezeichnet werden kann,
nicht zu verfehlen, muß ich den Kennern einer der-
gleichen Arbeit zu beurtheilen uͤberlaſſen. Es ſetzt
Ich habe einem gewiſſen, wahrheitliebenden und
ſcharfen, dabey alſo doch immer achtungswuͤrdigen
Recenſenten jener Grundlegung zur Met. d. S.
auf ſeinen Einwurf, daß der Begriff des Guten
dort nicht (wie es ſeiner Meynung nach noͤthig gewe-
ſen waͤre) vor dem moraliſchen Princip feſtgeſetzt
worden*), in dem zweyten Hauptſtuͤcke der Analytik,
Wenn es um die Beſtimmung eines beſonde-
ren Vermoͤgens der menſchlichen Seele, nach ſeinen
Quellen, Inhalte und Grenzen zu thun iſt, ſo kann
man zwar, nach der Natur des menſchlichen Erkennt-
niſſes, nicht anders als von den Theilen derſelben,
ihrer genauen und (ſo viel als nach der jetzigen Lage
unſerer ſchon erworbenen Elemente derſelben moͤglich
iſt) vollſtaͤndigen Darſtellung anfangen. Aber es
iſt noch eine zweyte Aufmerkſamkeit, die mehr philo-
ſophiſch und architectoniſch iſt; nemlich, die Idee
des Ganzen richtig zu faſſen, und aus derſelben alle
jene Theile in ihrer wechſelſeitigen Beziehung auf ein-
ander, vermittelſt der Ableitung derſelben von dem
Begriffe jenes Ganzen, in einem reinen Vernunftver-
moͤgen ins Auge zu faſſen. Dieſe Pruͤfung und Ge-
Ich beſorge in Anſehung dieſer Abhandlung nichts
von dem Vorwurfe, eine neue Sprache einfuͤhren
zu wollen, weil die Erkenntnißart ſich hier von ſelbſt
der Popularitaͤt naͤhert. Dieſer Vorwurf konnte
auch niemanden in Anſehung der erſteren Critik bey-
fallen, der ſie nicht blos durchgeblaͤttert, ſondern
durchgedacht hatte. Neue Worte zu kuͤnſteln, wo
die Sprache ſchon ſo an Ausdruͤcken fuͤr gegebene Be-
Auf dieſe Weiſe waͤren denn nunmehr die Prin-
cipien a priori zweyer Vermoͤgen des Gemuͤths, des
Was Schlimmeres koͤnnte aber dieſen Bemuͤhun-
gen wol nicht begegnen, als wenn jemand die uner-
wartete Entdeckung machte, daß es uͤberall gar kein
Erkenntniß a priori gebe, noch geben koͤnne. Allein
es hat hiemit keine Noth. Es waͤre eben ſo viel, als
ob jemand durch Vernunft beweiſen wollte, daß es
keine Vernunft gebe. Denn wir ſagen nur, daß wir
etwas durch Vernunft erkennen, wenn wir uns be-
wußt ſind, daß wir es auch haͤtten wiſſen koͤnnen,
wenn es uns auch nicht ſo in der Erfahrung vorgekom-
Hume wuͤrde ſich bey dieſem Syſtem des all-
gemeinen Empirisms in Grundſaͤtzen auch ſehr
wohl befinden; denn er verlangte, wie bekannt, nichts
mehr, als daß, ſtatt aller objectiven Bedeutung der
Nothwendigkeit im Begriffe der Urſache, eine blos
ſubjective, nemlich Gewohnheit, angenommen werde,
um der Vernunft alles Urtheil uͤber Gott, Freyheit
und Unſterblichkeit abzuſprechen; und er verſtand ſich
gewiß ſehr gut darauf, um, wenn man ihm nur die
Principien zugeſtand, Schluͤſſe mit aller logiſchen
Buͤndigkeit daraus zu folgern. Aber ſo allgemein hat
ſelbſt Hume den Empirism nicht gemacht, um auch
die Mathematik darin einzuſchließen. Er hielt ihre
Saͤtze fuͤr analytiſch, und, wenn das ſeine Richtig-
keit haͤtte, wuͤrden ſie in der That auch apodictiſch
ſeyn, gleichwol aber daraus kein Schluß auf ein Ver-
moͤgen der Vernunft, auch in der Philoſophie apodictiſche
Urtheile, nemlich ſolche, die ſynthetiſch waͤren, (wie der
Satz der Cauſalitaͤt,) zu faͤllen, gezogen werden koͤnnen.
Naͤhme man aber den Empirism der Principien allge-
mein an, ſo waͤre auch Mathematik damit eingeflochten.
Wenn nun dieſe mit der Vernunft, die blos em-
piriſche Grundſaͤtze zulaͤßt, in Widerſtreit geraͤth, wie
dieſes in der Antinomie, da Mathematik die unend-
liche Theilbarkeit des Raumes unwiderſprechlich be-
weiſet, der Empirism aber ſie nicht verſtatten kann,
unvermeidlich iſt: ſo iſt die groͤßte moͤgliche Evidenz
der Demonſtration, mit den vorgeblichen Schluͤſſen
aus Erfahrungsprincipien, in offenbarem Wider-
ſpruch, und nun muß man, wie der Blinde des Che-
ſelden fragen: was betruͤgt mich, das Geſicht oder
Gefuͤhl? (denn der Empirism gruͤndet ſich auf einer
gefuͤhlten, der Rationalism aber auf einer eingeſehe-
nen Nothwendigkeit.) Und ſo offenbaret ſich der all-
gemeine Empirism als den aͤchten Scepticism, den
man dem Hume faͤlſchlich in ſo unbeſchraͤnkter Be-
deutung beylegte *), da er wenigſtens einen ſicheren
Doch, da es in dieſem philoſophiſchen und cri-
tiſchen Zeitalter ſchwerlich mit jenem Empirism Ernſt
ſeyn kann, und er vermuthlich nur zur Uebung der Ur-
theilskraft, und um durch den Contraſt die Nothwen-
digkeit rationaler Principien a priori in ein helleres Licht
zu ſetzen, aufgeſtellet wird: ſo kann man es denen doch
Dank wiſſen, die ſich mit dieſer ſonſt eben nicht be-
lehrenden Arbeit bemuͤhen wollen.
Der theoretiſche Gebrauch der Vernunft beſchaͤff-
tigte ſich mit Gegenſtaͤnden des bloßen Er-
kenntnißvermoͤgens, und eine Critik derſelben, in Ab-
ſicht auf dieſen Gebrauch, betraf eigentlich nur das
reine Erkenntnißvermoͤgen, weil dieſes Verdacht er-
regte, der ſich auch hernach beſtaͤttigte, daß es ſich leicht-
lich uͤber ſeine Grenzen, unter unerreichbare Ge-
genſtaͤnde, oder gar einander widerſtreitende Be-
griffe, verloͤhre. Mit dem practiſchen Gebrauche der
Vernunft verhaͤlt es ſich ſchon anders. In dieſem be-
ſchaͤfftigt ſich die Vernunft mit Beſtimmungsgruͤnden
des Willens, welcher ein Vermoͤgen iſt, den Vor-
ſtellungen entſprechende Gegenſtaͤnde entweder hervor-
zubringen, oder doch ſich ſelbſt zu Bewirkung derſel-
ben (das phyſiſche Vermoͤgen mag nun hinreichend ſeyn,
Indeſſen, da es immer noch reine Vernunft iſt,
deren Erkenntniß hier dem practiſchen Gebrauche zum
Grunde liegt, ſo wird doch die Eintheilung einer Cri-
tik der practiſchen Vernunft, dem allgemeinen Abriſſe
nach, der der ſpeculativen gemaͤß angeordnet werden
muͤſſen. Wir werden alſo eine Elementarlehre und
Methodenlehre derſelben, in jener, als dem erſten
Theile, eine Analytik, als Regel der Wahrheit, und
eine Dialectik, als Darſtellung und Aufloͤſung des
Scheins in Urtheilen der practiſchen Vernunft haben
muͤſſen. Allein die Ordnung in der Unterabtheilung
Practiſche Grundſaͤtze ſind Saͤtze, welche eine allge-
meine Beſtimmung des Willens enthalten, die
mehrere practiſche Regeln unter ſich hat. Sie ſind
ſubjectiv, oder Maximen, wenn die Bedingung nur
als fuͤr den Willen des Subjects guͤltig von ihm ange-
ſehen wird; objectiv aber, oder practiſche Geſetze,
wenn jene als objectiv d. i. fuͤr den Willen jedes ver-
nuͤnftigen Weſens guͤltig erkannt wird.
Wenn man annimmt, daß reine Vernunft einen practiſch
d. i. zur Willensbeſtimmung hinreichenden Grund in ſich ent-
Alle practiſche Principien, die ein Object (Ma-
terie) des Begehrungsvermoͤgens, als Beſtimmungs-
grund des Willens, vorausſetzen, ſind insgeſamt em-
piriſch und koͤnnen keine practiſche Geſetze abgeben.
Ich verſtehe unter der Materie des Begehrungs-
vermoͤgens einen Gegenſtand, deſſen Wirklichkeit begeh-
ret wird. Wenn die Begierde nach dieſem Gegenſtande
Da nun (zweytens) ein Prineip, das ſich nur
auf die ſubjective Bedingung der Empfaͤnglichkeit einer
Luſt oder Unluſt, (die jederzeit nur empiriſch erkannt,
und nicht fuͤr alle vernuͤnftige Weſen in gleicher Art
guͤltig ſeyn kann,) gruͤndet, zwar wol fuͤr das Sub-
ject, das ſie beſitzt, zu ihrer Maxime, aber auch fuͤr
dieſe ſelbſt (weil es ihm an objectiver Nothwendigkeit,
die a priori erkannt werden muß, mangelt) nicht zum
Alle materiale practiſche Principien ſind, als ſol-
che, insgeſamt von einer und derſelben Art, und ge-
hoͤren unter das allgemeine Princip der Selbſtliebe, oder
eigenen Gluͤckſeligkeit.
Die Luſt aus der Vorſtellung der Exiſtenz einer
Sache, ſo fern ſie ein Beſtimmungsgrund des Begeh-
rens dieſer Sache ſeyn ſoll, gruͤndet ſich auf der Em-
pfaͤnglichkeit des Subjects, weil ſie von dem Daſeyn
eines Gegenſtandes abhaͤngt; mithin gehoͤrt ſie dem
Sinne (Gefuͤhl) und nicht dem Verſtande an, der eine
Beziehung der Vorſtellung auf ein Object, nach Be-
griffen, aber nicht auf das Subject, nach Gefuͤhlen,
ausdruͤckt. Sie iſt alſo nur ſo fern practiſch, als die
Empfindung der Annehmlichkeit, die das Subject
von der Wirklichkeit des Gegenſtandes erwartet, das
Begehrungsvermoͤgen beſtimmt. Nun iſt aber das Be-
wußtſeyn eines vernuͤnftigen Weſens von der Annehm-
lichkeit des Lebens, die ununterbrochen ſein ganzes Da-
ſeyn begleitet, die Gluͤckſeligkeit, und das Princip, dieſe
ſich zum hoͤchſten Beſtimmungsgrunde der Willkuͤhr zu
machen, das Princip der Selbſtliebe. Alſo ſind alle
materiale Principien, die den Beſtimmungsgrund der
Alle materiale practiſche Regeln ſetzen den Be-
ſtimmungsgrund des Willens im unteren Begehrungs-
vermoͤgen, und, gaͤbe es gar keine blos formale Ge-
ſetze deſſelben, die den Willen hinreichend beſtimmeten,
ſo wuͤrde auch kein oberes Begehrungsvermoͤgen ein-
geraͤumt werden koͤnnen.
Man muß ſich wundern, wie ſonſt ſcharfſinnige Maͤnner
einen Unterſchied zwiſchen dem unteren und oberen Begeh-
rungsvermoͤgen darin zu finden glauben koͤnnen, ob die
Vorſtellungen, die mit dem Gefuͤhl der Luſt verbunden
ſind, in den Sinnen, oder dem Verſtande ihren Urſprung
haben. Denn es kommt, wenn man nach den Beſtimmungs-
gruͤnden des Begehrens fraͤgt und ſie in einer von irgend et-
was erwarteten Annehmlichkeit ſetzt, gar nicht darauf an, wo
die Vorſtellung dieſes vergnuͤgenden Gegenſtandes herkomme,
ſondern nur wie ſehr ſie vergnuͤgt. Wenn eine Vorſtellung,
ſie mag immerhin im Verſtande ihren Sitz und Urſprung ha-
ben, die Willkuͤhr nur dadurch beſtimmen kann, daß ſie ein
Gefuͤhl einer Luſt im Subjecte vorausſetzet, ſo iſt, daß ſie ein
Beſtimmungsgrund der Willkuͤhr ſey, gaͤnzlich von der Be-
ſchaffenheit des inneren Sinnes abhaͤngig, daß dieſer nemlich
dadurch mit Annehmlichkeit afficirt werden kann. Die Vor-
Gluͤcklich zu ſeyn, iſt nothwendig das Verlangen jedes
vernuͤnftigen aber endlichen Weſens, und alſo ein unvermeidli-
cher Beſtimmungsgrund ſeines Begehrungsvermoͤgens. Denn
die Zufriedenheit mit ſeinem ganzen Daſeyn iſt nicht etwa ein
urſpruͤnglicher Beſitz, und eine Seligkeit, welche ein Bewußt-
ſeyn ſeiner unabhaͤngigen Selbſtgenugſamkeit vorausſetzen wuͤr-
de, ſondern ein durch ſeine endliche Natur ſelbſt ihm aufge-
drungenes Problem, weil es beduͤrftig iſt, und dieſes Be-
duͤrfniß betrift die Materie ſeines Begehrungsvermoͤgens, d. i.
etwas, was ſich auf ein ſubjectiv zum Grunde liegendes Ge-
fuͤhl der Luſt oder Unluſt bezieht, dadurch das, was es zur
Zufriedenheit mit ſeinem Zuſtande bedarf, beſtimmt wird.
Aber eben darum, weil dieſer materiale Beſtimmungsgrund
von dem Subjecte blos empiriſch erkannt werden kann, iſt es
unmoͤglich dieſe Aufgabe als ein Geſetz zu betrachten, weil die-
ſes als objectiv in allen Faͤllen und fuͤr alle vernuͤnftige Weſen
Aber geſetzt, endliche vernuͤnftige Weſen daͤchten auch
in Anſehung deſſen, was ſie fuͤr Objecte ihrer Gefuͤhle des
Vergnuͤgens oder Schmerzens anzunehmen haͤtten, imgleichen
ſogar in Anſehung der Mittel, deren ſie ſich bedienen muͤſſen,
um die erſtern zu erreichen, die andern abzuhalten, durchgehends
einerley, ſo wuͤrde das Princip der Selbſtliebe dennoch
von ihnen durchaus fuͤr kein practiſches Geſetz ausgegeben
werden koͤnnen; denn dieſe Einhelligkeit waͤre ſelbſt doch nur
zufaͤllig. Der Beſtimmungsgrund waͤre immer doch nur ſub-
jectiv guͤltig und blos empiriſch, und haͤtte diejenige Nothwen-
digkeit nicht, die in einem jeden Geſetze gedacht wird, nem-
lich die objective aus Gruͤnden a priori; man muͤßte denn dieſe
Nothwendigkeit gar nicht fuͤr practiſch, ſondern fuͤr blos phy-
ſiſch ausgeben, nemlich daß die Handlung durch unſere Nei-
gung uns eben ſo unausbleiblich abgenoͤthigt wuͤrde, als das
Gaͤhnen, wenn wir andere gaͤhnen ſehen. Man wuͤrde eher
behaupten koͤnnen, daß es gar keine practiſche Geſetze gebe,
ſondern nur Anrathungen zum Behuf unſerer Begierden, als
daß blos ſubjective Principien zum Range practiſcher Geſetze
erhoben wuͤrden, die durchaus objective und nicht blos ſubjective
Nothwendigkeit haben, und durch Vernunft a priori, nicht
durch Erfahrung (ſo empiriſch allgemein dieſe auch ſeyn mag)
erkannt ſeyn muͤſſen. Selbſt die Regeln einſtimmiger Erſchei-
nungen werden nur Naturgeſetze (z. B. die mechaniſchen) ge-
nannt, wenn man ſie entweder wirklich a priori erkennt, oder
Wenn ein vernuͤnftiges Weſen ſich ſeine Maximen
als practiſche allgemeine Geſetze denken ſoll, ſo kann
es ſich dieſelbe nur als ſolche Principien denken, die
nicht der Materie, ſondern blos der Form nach, den
Beſtimmungsgrund des Willens enthalten.
Die Materie eines practiſchen Princips iſt der Ge-
genſtand des Willens. Dieſer iſt entweder der Beſtim-
mungsgrund des letzteren, oder nicht. Iſt er der Be-
ſtimmungsgrund deſſelben, ſo wuͤrde die Regel des Wil-
lens einer empiriſchen Bedingung (dem Verhaͤltniſſe
der beſtimmenden Vorſtellung zum Gefuͤhle der Luſt
und Unluſt) unterworfen, folglich kein practiſches Ge-
ſetz ſeyn. Nun bleibt von einem Geſetze, wenn man
alle Materie, d. i. jeden Gegenſtand des Willens (als
Beſtimmungsgrund) davon abſondert, nichts uͤbrig,
Welche Form in der Maxime ſich zur allgemeinen Geſetz-
gebung ſchicke, welche nicht, das kann der gemeinſte Verſtand
ohne Unterweiſung unterſcheiden. Ich habe z. B. es mir zur
Maxime gemacht, mein Vermoͤgen durch alle ſichere Mittel
zu vergroͤßern. Jetzt iſt ein Depoſitum in meinen Haͤnden,
deſſen Eigenthuͤmer verſtorben iſt und keine Handſchrift dar-
uͤber zuruͤckgelaſſen hat. Natuͤrlicherweiſe iſt dies der Fall
meiner Maxime. Jetzt will ich nur wiſſen, ob jene Maxime
auch als allgemeines practiſches Geſetz gelten koͤnne. Ich
wende jene alſo auf gegenwaͤrtigen Fall an, und frage, ob ſie
wol die Form eines Geſetzes annehmen, mithin ich wol
durch meine Maxime zugleich ein ſolches Geſetz geben koͤnnte:
daß jedermann ein Depoſitum ableugnen duͤrfe, deſſen Nieder-
legung ihm niemand beweiſen kann. Ich werde ſofort gewahr,
daß ein ſolches Princip, als Geſetz, ſich ſelbſt vernichten wuͤr-
de, weil es machen wuͤrde, daß es gar kein Depoſitum gaͤbe.
Ein practiſches Geſetz, was ich dafuͤr erkenne, muß ſich zur
allgemeinen Geſetzgebung qualificiren; dies iſt ein identiſcher
Satz und alſo fuͤr ſich klar. Sage ich nun, mein Wille ſteht
unter einem practiſchen Geſetze, ſo kann ich nicht meine Nei-
gung (z. B. im gegenwaͤrtigen Falle meine Habſucht) als den
zu einem allgemeinen practiſchen Geſetze ſchicklichen Beſtim-
Es iſt daher wunderlich, wie, da die Begierde zur
Gluͤckſeligkeit, mithin auch die Maxime, dadurch ſich jeder
dieſe letztere zum Beſtimmungsgrunde ſeines Willens ſetzt,
allgemein iſt, es verſtaͤndigen Maͤnnern habe in den Sinn
kommen koͤnnen, es darum fuͤr ein allgemein practiſches Ge-
ſetz auszugeben. Denn da ſonſt ein allgemeines Naturgeſetz
alles einſtimmig macht, ſo wuͤrde hier, wenn man der Ma-
xime die Allgemeinheit eines Geſetzes geben wollte, grade das
aͤußerſte Widerſpiel der Einſtimmung, der aͤrgſte Widerſtreit
und die gaͤnzliche Vernichtung der Maxime ſelbſt und ihrer
Abſicht erfolgen. Denn der Wille Aller hat alsdenn nicht ein
und daſſelbe Object, ſondern ein jeder hat das ſeinige (ſein
eigenes Wohlbefinden), welches ſich zwar zufaͤlligerweiſe, auch
mit anderer ihren Abſichten, die ſie gleichfalls auf ſich ſelbſt
richten, vertragen kann, aber lange nicht zum Geſetze hinrei-
chend iſt, weil die Ausnahmen, die man gelegentlich zu ma-
chen befugt iſt, endlos ſind, und gar nicht beſtimmt in eine
allgemeine Regel befaßt werden koͤnnen. Es kommt auf dieſe
Art eine Harmonie heraus, die derjenigen aͤhnlich iſt, welche
ein gewiſſes Spottgedicht auf die Seeleneintracht zweyer ſich
zu Grunde richtenden Eheleute ſchildert: O wundervolle
Harmonie, was er will, will auch ſie etc. oder was von
der Anheiſchigmachung Koͤnig Franz des Erſten gegen Kaiſer
Carl den Fuͤnften erzaͤhlt wird: was mein Bruder Carl haben
will, (Mayland) das will ich auch haben. Empiriſche Be-
ſtimmungsgruͤnde taugen zu keiner allgemeinen aͤußeren Geſetz-
gebung, aber auch eben ſo wenig zur innern; denn jeder legt
Vorausgeſetzt, daß die bloße geſetzgebende Form
der Maximen allein der zureichende Beſtimmungsgrund
eines Willens ſey: die Beſchaffenheit desjenigen Wil-
lens zu finden, der dadurch allein beſtimmbar iſt.
Da die bloße Form des Geſetzes lediglich von der
Vernunft vorgeſtellt werden kann, und mithin kein Ge-
genſtand der Sinne iſt, folglich auch nicht unter die
Erſcheinungen gehoͤrt; ſo iſt die Vorſtellung derſelben
als Beſtimmungsgrund des Willens von allen Beſtim-
mungsgruͤnden der Begebenheiten in der Natur nach
dem Geſetze der Cauſalitaͤt unterſchieden, weil bey die-
ſen die beſtimmenden Gruͤnde ſelbſt Erſcheinungen ſeyn
muͤſſen. Wenn aber auch kein anderer Beſtimmungs-
grund des Willens fuͤr dieſen zum Geſetz dienen kann,
als blos jene allgemeine geſetzgebende Form; ſo muß
ein ſolcher Wille als gaͤnzlich unabhaͤngig von dem Na-
turgeſetz der Erſcheinungen, nemlich dem Geſetze der
Cauſalitaͤt, beziehungsweiſe auf einander, gedacht wer-
den. Eine ſolche Unabhaͤngigkeit aber heißt Freyheit
im ſtrengſten d. i. transſcendentalen Verſtande. Alſo
Vorausgeſetzt, daß ein Wille frey ſey, das Geſetz
zu finden, welches ihn allein nothwendig zu beſtimmen
tauglich iſt.
Da die Materie des practiſchen Geſetzes, d. i.
ein Object der Maxime, niemals anders als empiriſch ge-
geben werden kann, der freye Wille aber, als von em-
piriſchen (d. i. zur Sinnenwelt gehoͤrigen) Bedingun-
gen unabhaͤngig, dennoch beſtimmbar ſeyn muß; ſo
muß ein freyer Wille, unabhaͤngig von der Materie
des Geſetzes, dennoch einen Beſtimmungsgrund in dem
Geſetze antreffen. Es iſt aber, außer der Materie des
Geſetzes, nichts weiter in demſelben, als die geſetzge-
bende Form enthalten. Alſo iſt die geſetzgebende Form,
ſo fern ſie in der Maxime enthalten iſt, das einzige, was
einen Beſtimmungsgrund des Willens ausmachen kann.
Freyheit und unbedingtes practiſches Geſetz weiſen alſo
wechſelsweiſe auf einander zuruͤck. Ich frage hier nun nicht:
ob ſie auch in der That verſchieden ſeyn, und nicht vielmehr
ein unbedingtes Geſetz blos das Selbſtbewußtſeyn einer reinen
practiſchen Vernunft, dieſe aber ganz einerley mit dem poſiti-
ven Begriffe der Freyheit ſey; ſondern wovon unſere Er-
kenntniß des unbedingt-Practiſchen anhebe, ob von der
Handle ſo, daß die Maxime deines Willens jeder-
zeit zugleich als Princip einer allgemeinen Geſetzgebung
gelten koͤnne.
Die reine Geometrie hat Poſtulate als practiſche Saͤt[ – 1 Zeichen fehlt]e,
die aber nichts weiter enthalten, als die Vorausſetzung, daß
man etwas thun koͤnne, wenn etwa gefodert wuͤrde, man
ſolle es thun, und dieſe ſind die einzigen Saͤtze derſelben, die
ein Daſeyn betreffen. Es ſind alſo practiſche Regeln unter
einer problematiſchen Bedingung des Willens. Hier aber ſagt
die Regel: man ſolle ſchlechthin auf gewiſſe Weiſe verfahren.
Die practiſche Regel iſt alſo unbedingt, mithin, als catego-
riſch practiſcher Satz, a priori vorgeſtellt, wodurch der Wille
ſchlechterdings und unmittelbar (durch die practiſche Regel
ſelbſt, die alſo hier Geſetz iſt,) objectiv beſtimmt wird. Denn
reine, an ſich practiſche Vernunft iſt hier unmittelbar ge-
ſetzgebend. Der Wille wird als unabhaͤngig von empiriſchen
Bedingungen, mithin als reiner Wille, durch die bloße Form
des Geſetzes als beſtimmt gedacht, und dieſer Beſtimmungs-
grund als die oberſte Bedingung aller Maximen angeſehen.
Die Sache iſt befremdlich genug, und hat ihres gleichen in der
ganzen uͤbrigen practiſchen Erkenntniß nicht. Denn der Ge-
danke a priori von einer moͤglichen allgemeinen Geſetzgebung,
der alſo blos problematiſch iſt, wird, ohne von der Erfahrung
oder irgend einem aͤußeren Willen etwas zu entlehnen, als
Geſetz unbedingt geboten. Es iſt aber auch nicht eine Vor-
ſchrift, nach welcher eine Handlung geſchehen ſoll, dadurch
eine begehrte Wirkung moͤglich iſt, (denn da waͤre die Regel
immer phyſiſch bedingt,) ſondern eine Regel, die blos den
Willen, in Anſehung der Form ſeiner Maximen, a priori
beſtimmt, und da iſt ein Geſetz, welches blos zum Behuf der
ſubjectiven Form der Grundſaͤtze dient, als Beſtimmungs-
grund durch die objective Form eines Geſetzes uͤberhaupt,
wenigſtens zu denken, nicht unmoͤglich. Man kann das Be-
Reine Vernunft iſt fuͤr ſich allein practiſch, und
giebt (dem Menſchen) ein allgemeines Geſetz, welches
wir das Sittengeſetz nennen.
Das vorher genannte Factum iſt unleugbar. Man darf
nur das Urtheil zergliedern, welches die Menſchen uͤber die
Geſetzmaͤßigkeit ihrer Handlungen faͤllen: ſo wird man jeder-
zeit finden, daß, was auch die Neigung dazwiſchen ſprechen
mag, ihre Vernunft dennoch, unbeſtechlich und durch ſich ſelbſt
gezwungen, die Maxime des Willeus bey einer Handlung je-
derzeit an den reinen Willen halte, d. i. an ſich ſelbſt, indem
ſie ſich als a priori practiſch betrachtet. Dieſes Princip der
Sittlichkeit nun, eben um der Allgemeinheit der Geſetzgebung
willen, die es zum formalen oberſten Beſtimmungsgrunde des
Willens, unangeſehen aller ſubjectiven Verſchiedenheiten deſ-
Die Avtonomie des Willens iſt das alleinige
Princip aller moraliſchen Geſetze und der ihnen gemaͤßen
Pflichten: Alle Heteronomie der Willkuͤhr gruͤndet da-
gegen nicht allein gar keine Verbindlichkeit, ſondern iſt
vielmehr dem Princip derſelben und der Sittlichkeit des
Willens entgegen. In der Unabhaͤngigkeit nemlich von
aller Materie des Geſetzes (nemlich einem begehrten
Objecte) und zugleich doch Beſtimmung der Willkuͤhr
durch die bloße allgemeine geſetzgebende Form, deren
eine Maxime faͤhig ſeyn muß, beſteht das alleinige
Princip der Sittlichkeit. Jene Unabhaͤngigkeit aber
Zum practiſchen Geſetze muß alſo niemals eine practiſche
Vorſchrift gezaͤhlt werden, die eine materiale (mithin empi-
Das gerade Widerſpiel des Princips der Sittlichkeit iſt:
wenn das der eigenen Gluͤckſeligkeit zum Beſtimmungsgrunde
des Willens gemacht wird, wozu, wie ich oben gezeigt habe,
alles uͤberhaupt gezaͤhlt werden muß, was den Beſtimmungs-
grund, der zum Geſetze dienen ſoll, irgend worin anders,
als in der geſetzgebenden Form der Maxime ſetzt. Dieſer
Wenn ein dir ſonſt beliebter Umgangsfreund ſich bey dir
wegen eines falſchen abgelegten Zeugniſſes dadurch zu rechtfer-
tigen vermeynete, daß er zuerſt die, ſeinem Vorgeben nach,
heilige Pflicht der eigenen Gluͤekſeligkeit vorſchuͤtzte, alsdenn
die Vortheile herzaͤhlte, die er ſich alle dadurch erworben, die
Klugheit namhaft machte, die er beobachtet, um wider alle
Entdeckung ſicher zu ſeyn, ſelbſt wider die von Seiten deiner
ſelbſt, dem er das Geheimniß darum allein offenbaret, damit
er es zu aller Zeit ableugnen koͤnne; dann aber im ganzen Ernſt
vorgaͤbe, er habe eine wahre Menſchenpflicht ausgeuͤbt: ſo
wuͤrdeſt du ihm entweder gerade ins Geſicht lachen, oder mit
Abſcheu davon zuruͤckbeben, ob du gleich, wenn jemand blos
auf eigene Vortheile ſeine Grundſaͤtze geſteuert hat, wider
dieſe Maaßregeln nicht das mindeſte einzuwenden haͤtteſt. Oder
ſetzet, es empfehle euch jemand einen Mann zum Haushalter,
dem ihr alle eure Angelegenheiten blindlings anvertrauen koͤn-
net, und, um euch Zutrauen einzufloͤßen, ruͤhmete er ihn als
einen klugen Menſchen, der ſich auf ſeinen eigenen Vortheil
meiſterhaft verſtehe, auch als einen raſtlos wirkſamen, der keine
Gelegenheit dazu ungenutzt vorbeygehen ließe, endlich, damit
Das Princip der Gluͤckſeligkeit kann zwar Maximen, aber
niemals ſolche abgeben, die zu Geſetzen des Willens tauglich
waͤren, ſelbſt wenn man ſich die allgemeine Gluͤckſeligkeit zum
Objecte machte. Denn, weil dieſer ihre Erkenntniß auf lauter
Erfahrungsdatis beruht, weil jedes Urtheil daruͤber gar ſehr
von jedes ſeiner Meynung, die noch dazu ſelbſt ſehr veraͤnder-
lich iſt, abhaͤngt, ſo kann es wol generelle, aber niemals
univerſelle Regeln, d. i. ſolche, die im Durchſchnitte am oͤf-
terſten zutreffen, nicht aber ſolche, die jederzeit und nothwen-
dig guͤltig ſeyn muͤſſen, geben, mithin koͤnnen keine practiſche
Geſetze darauf gegruͤndet werden. Eben darum, weil hier
ein Object der Willkuͤhr der Regel derſelben zum Grunde gelegt
Die Maxime der Selbſtliebe (Klugheit) raͤth blos an;
das Geſetz der Sittlichkeit gebietet. Es iſt aber doch ein
großer Unterſchied zwiſchen dem, wozu man uns anraͤthig iſt,
und dem, wozu wir verbindlich ſind.
Was nach dem Princip der Avtonomie der Willkuͤhr zu
thun ſey, iſt fuͤr den gemeinſten Verſtand ganz leicht und ohne
Bedenken einzuſehen; was unter Vorausſetzung der Heterono-
mie derſelben zu thun ſey, ſchwer, und erfodert Weltkenntniß;
d. i. was Pflicht ſey, bietet ſich jedermann von ſelbſt dar;
was aber wahren dauerhaften Vortheil bringe, iſt allemal,
wenn dieſer auf das ganze Daſeyn erſtreckt werden ſoll, in un-
durchdringliches Dunkel eingehuͤllt, und erfodert viel Klugheit,
um die practiſche darauf geſtimmte Regel durch geſchickte Aus-
nahmen auch nur auf ertraͤgliche Art den Zwecken des Lebens
anzupaſſen. Gleichwol gebietet das ſittliche Geſetz jedermann,
und zwar die puͤnctlichſte, Befolgung. Es muß alſo zu der
Beurtheilung deſſen, was nach ihm zu thun ſey, nicht ſo
ſchwer ſeyn, daß nicht der gemeinſte und ungeuͤbteſte Verſtand
ſelbſt ohne Weltklugheit damit umzugehen wuͤßte.
Dem categoriſchen Gebote der Sittlichkeit Genuͤge zu
leiſten, iſt in jedes Gewalt zu aller Zeit; der empiriſch-bedingten
Der im Spiel verlohren hat, kann ſich wol uͤber ſich
ſelbſt und ſeine Unklugheit aͤrgern, aber wenn er ſich bewußt
iſt, im Spiel betrogen (obzwar dadurch gewonnen) zu ha-
ben, ſo muß er ſich ſelbſt verachten, ſo bald er ſich mit dem
ſittlichen Geſetze vergleicht. Dieſes muß alſo doch wol etwas
Anderes, als das Princip der eigenen Gluͤckſeligkeit ſeyn.
Denn zu ſich ſelber ſagen zu muͤſſen: ich bin ein Nichtswuͤr-
diger, ob ich gleich meinen Beutel gefuͤllt habe, muß doch
ein anderes Richtmaaß des Urtheils haben, als ſich ſelbſt Bey-
fall zu geben, und zu ſagen: ich bin ein kluger Menſch, denn
ich habe meine Caſſe bereichert.
Endlich iſt noch etwas in der Idee unſerer practiſchen
Vernunft, welches die Uebertretung eines ſittlichen Geſetzes
begleitet, nemlich ihre Strafwuͤrdigkeit. Nun laͤßt ſich mit
Feiner noch, obgleich eben ſo unwahr, iſt das Vorgeben
derer, die einen gewiſſen moraliſchen beſondern Sinn anneh-
men, der, und nicht die Vernunft, das moraliſche Geſetz be-
ſtimmete, nach welchem das Bewußtſeyn der Tugend unmittel-
bar mit Zufriedenheit und Vergnuͤgen, das des Laſters aber
mit Seelenunruhe und Schmerz verbunden waͤre, und ſo alles
doch auf Verlangen nach eigener Gluͤckſeligkeit ausſetzen. Ohne
das hieher zu ziehen, was oben geſagt worden, will ich nur
die Taͤuſchung bemerken, die hiebey vorgeht. Um den Laſterhaften
als durch das Bewußtſeyn ſeiner Vergehungen mit Gemuͤths-
unruhe geplagt vorzuſtellen, muͤſſen ſie ihn, der vornehmſten
Grundlage ſeines Characters nach, ſchon zum voraus als, we-
nigſtens in einigem Grade, moraliſch gut, ſo wie den, wel-
chen das Bewußtſeyn pflichtmaͤßiger Handlungen ergoͤtzt, vor-
her ſchon als tugendhaft vorſtellen. Alſo mußte doch der Be-
griff der Moralitaͤt und Pflicht vor aller Ruͤckſicht auf dieſe
Zufriedenheit vorhergehen und kann von dieſer gar nicht abge-
leitet werden. Nun muß man doch die Wichtigkeit deſſen,
was wir Pflicht nennen, das Anſehen des moraliſchen Geſetzes
und den unmittelbaren Werth, den die Befolgung deſſelben
der Perſon in ihren eigenen Augen giebt, vorher ſchaͤtzen, um
jene Zufriedenheit in dem Bewußtſeyn ſeiner Angemeſſenheit
zu derſelben, und den bitteren Verweis, wenn man ſich deſſen
Uebertretung vorwerfen kann, zu fuͤhlen. Man kann alſo
Wenn wir nun unſeren formalen oberſten Grundſatz der
reinen practiſchen Vernunft (als einer Avtonomie des Willens)
mit allen bisherigen materialen Principien der Sittlichkeit
vergleichen, ſo koͤnnen wir in einer Tafel alle uͤbrige, als ſol-
che, dadurch wirklich zugleich alle moͤgliche andere Faͤlle, außer
einem einzigen formalen, erſchoͤpft ſind, vorſtellig machen, und
ſo durch den Augenſchein beweiſen, daß es vergeblich ſey, ſich
nach einem andern Princip, als dem jetzt vorgetragenen, um-
zuſehen. — Alle moͤgliche Beſtimmungsgruͤnde des Willens
ſind nemlich entweder blos ſubjectiv und alſo empiriſch, oder auch
objectiv und rational; beide aber entweder aͤußere oder innere.
Die auf der linken Seite ſtehende ſind insgeſamt empi-
riſch und taugen offenbar gar nicht zum allgemeinen Princip
der Sittlichkeit. Aber die auf der rechten Seite gruͤnden
ſich auf der Vernunft, (denn Vollkommenheit, als Beſchaf-
fenheit der Dinge, und die hoͤchſte Vollkommenheit in Sub-
ſtanz vorgeſtellt, d. i. Gott, ſind beide nur durch Vernunft-
begriffe zu denken.) Allein der erſtere Begriff, nemlich der
Vollkommenheit, kann entweder in theoretiſcher Bedeu-
tung genommen werden, und da bedeutet er nichts, als Voll-
ſtaͤndigkeit eines jeden Dinges in ſeiner Art (transſcendentale),
oder eines Dinges blos als Dinges uͤberhaupt (metaphyſiſche),
und davon kann hier nicht die Rede ſeyn. Der Begriff der
Vollkommenheit in practiſcher Bedeutung aber iſt die Taug-
lichkeit, oder Zulaͤnglichkeit eines Dinges zu allerley Zwecken.
Dieſe Vollkommenheit, als Beſchaffenheit des Menſchen,
folglich innerliche, iſt nichts anders, als Talent, und, was
dieſes ſtaͤrkt oder ergaͤnzt, Geſchicklichkeit. Die hoͤchſte
Vollkommenheit in Subſtanz, d. i. Gott, folglich aͤußerliche,
(in practiſcher Abſicht betrachtet,) iſt die Zulaͤnglichkeit dieſes
Weſens zu allen Zwecken uͤberhaupt. Wenn nun alſo uns
Zwecke vorher gegeben werden muͤſſen, in Beziehung auf wel-
che der Begriff der Vollkommenheit (einer inneren, an uns
ſelbſt, oder einer aͤußeren, an Gott,) allein Beſtimmungs-
grund des Willens werden kann, ein Zweck aber, als Object,
welches vor der Willensbeſtimmung durch eine practiſche Regel
vorhergehen und den Grund der Moͤglichkeit einer ſolchen ent-
halten muß, mithin die Materie des Willens, als Beſtim-
mungsgrund deſſelben genommen, jederzeit empiriſch iſt, mit-
hin zum epicuriſchen Princip der Gluͤckſeligkeitslehre, nie-
mals aber zum reinen Vernunftprincip der Sittenlehre und
der Pflicht dienen kann, (wie denn Talente und ihre Befoͤr-
Dieſe Analytik thut dar, daß reine Vernunft practiſch
ſeyn, d. i. fuͤr ſich, unabhaͤngig von allem Empiriſchen,
den Willen beſtimmen koͤnne — und dieſes zwar durch
ein Factum, worin ſich reine Vernunft bey uns in der
That practiſch beweiſet, nemlich die Avtonomie in dem
Grundſatze der Sittlichkeit, wodurch ſie den Willen zur
That beſtimmt. — Sie zeigt zugleich, daß dieſes
Factum mit dem Bewußtſeyn der Freyheit des Willens
unzertrennlich verbunden, ja mit ihm einerley ſey, wo-
durch der Wille eines vernuͤnftigen Weſens, das, als
zur Sinnenwelt gehoͤrig, ſich, gleich anderen wirkſa-
men Urſachen, nothwendig den Geſetzen der Cauſalitaͤt
unterworfen erkennt, im Practiſchen, doch zugleich ſich
auf einer andern Seite, nemlich als Weſen an ſich
ſelbſt, ſeines in einer intelligibelen Ordnung der Dinge
beſtimmbaren Daſeyns bewußt iſt, zwar nicht einer be-
ſondern Anſchauung ſeiner ſelbſt, ſondern gewiſſen dy-
namiſchen Geſetzen gemaͤß, die die Cauſalitaͤt deſſelben
in der Sinnenwelt beſtimmen koͤnnen; denn, daß Frey-
heit, wenn ſie uns beygelegt wird, uns in eine intelli-
gibele Ordnung der Dinge verſetze, iſt anderwerts hin-
reichend bewieſen worden.
Wenn wir nun damit den analytiſchen Theil der
Critik der reinen ſpeculativen Vernunft vergleichen, ſo
zeigt ſich ein merkwuͤrdiger Contraſt beider gegen ein-
ander. Nicht Grundſaͤtze, ſondern reine ſinnliche An-
ſchauung (Raum und Zeit) war daſelbſt das erſte
Datum, welches Erkenntniß a priori und zwar nur fuͤr
Gegenſtaͤnde der Sinne moͤglich machte. — Synthe-
tiſche Grundſaͤtze aus bloßen Begriffen ohne Anſchauung
waren unmoͤglich, vielmehr konnten dieſe nur in Be-
ziehung auf jene, welche ſinnlich war, mithin auch nur
auf Gegenſtaͤnde moͤglicher Erfahrung ſtattfinden, weil
die Begriffe des Verſtandes, mit dieſer Anſchauung ver-
bunden, allein dasjenige Erkenntniß moͤglich machen,
welches wir Erfahrung nennen. — Ueber die Erfah-
rungsgegenſtaͤnde hinaus, alſo von Dingen als Nou-
menen, wurde der ſpeculativen Vernunft alles Poſitive
einer Erkenntniß mit voͤlligem Rechte abgeſprochen. —
Doch leiſtete dieſe ſo viel, daß ſie den Begriff der Nou-
menen, d. i. die Moͤglichkeit, ja Nothwendigkeit der-
gleichen zu denken, in Sicherheit ſetzte, und z. B. die
Freyheit, negativ betrachtet, anzunehmen, als ganz
vertraͤglich mit jenen Grundſaͤtzen und Einſchraͤnkungen
der reinen theoretiſchen Vernunft, wider alle Einwuͤrfe
rettete, ohne doch von ſolchen Gegenſtaͤnden irgend et-
was beſtimmtes und erweiterndes zu erkennen zu geben,
indem ſie vielmehr alle Ausſicht dahin gaͤnzlich ab-
ſchnitt.
Dagegen giebt das moraliſche Geſetz, wenn gleich
keine Ausſicht, dennoch ein ſchlechterdings aus allen
Datis der Sinnenwelt und dem ganzen Umfange unſe-
res theoretiſchen Vernunftgebrauchs unerklaͤrliches Fa-
ctum an die Hand, das auf eine reine Verſtandeswelt
Anzeige giebt, ja dieſe ſo gar poſitiv beſtimmt und uns
etwas von ihr, nemlich ein Geſetz, erkennen laͤßt.
Dieſes Geſetz ſoll der Sinnenwelt, als einer ſinn-
lichen Natur, (was die vernuͤnftigen Weſen betrifft,)
die Form einer Verſtandeswelt d. i. einer uͤberſinnli-
chen Natur verſchaffen, ohne doch jener ihrem Mecha-
nism Abbruch zu thun. Nun iſt Natur im allgemeinſten
Verſtande die Exiſtenz der Dinge unter Geſetzen. Die
ſinnliche Natur vernuͤnftiger Weſen uͤberhaupt iſt die
Exiſtenz derſelben unter empiriſch bedingten Geſetzen,
mithin fuͤr die Vernunft Heteronomie. Die uͤberſinn-
liche Natur eben derſelben Weſen iſt dagegen ihre Exi-
ſtenz nach Geſetzen, die von aller empiriſchen Bedingung
unabhaͤngig ſind, mithin zur Avtonomie der reinen
Vernunft gehoͤren. Und, da die Geſetze, nach welchen
das Daſeyn der Dinge vom Erkenntniß abhaͤngt, pra-
ctiſch ſind; ſo iſt die uͤberſinnliche Natur, ſo weit wir
uns einen Begriff von ihr machen koͤnnen, nichts an-
ders, als eine Natur unter der Avtonomie der rei-
nen practiſchen Vernunft. Das Geſetz dieſer Avto-
nomie aber iſt das moraliſche Geſetz; welches alſo das
Grundgeſetz einer uͤberſinnlichen Natur und einer reinen
Daß dieſe Idee wirklich unſeren Willensbeſtim-
mungen gleichſam als Vorzeichnung zum Muſter liege,
beſtaͤtigt die gemeinſte Aufmerkſamkeit auf ſich ſelbſt.
Wenn die Maxime, nach der ich ein Zeugniß ab-
zulegen geſonnen bin, durch die practiſche Vernunft ge-
pruͤft wird, ſo ſehe ich immer darnach, wie ſie ſeyn
wuͤrde, wenn ſie als allgemeines Naturgeſetz goͤlte.
Es iſt offenbar, in dieſer Art wuͤrde es jedermann zur
Wahrhaftigkeit noͤthigen. Denn es kann nicht mit
der Allgemeinheit eines Naturgeſetzes beſtehen, Aus-
ſagen fuͤr beweiſend und dennoch als vorſetzlich unwahr
gelten zu laſſen. Eben ſo wird die Maxime, die ich in
Der Unterſchied alſo zwiſchen den Geſetzen einer
Natur, welcher der Wille unterworfen iſt, und einer
Natur, die einem Willen (in Anſehung deſſen, was
Beziehung deſſelben auf ſeine freye Handlungen hat)
unterworfen iſt, beruht darauf, daß bey jener die Ob-
jecte Urſachen der Vorſtellungen ſeyn muͤſſen, die den
Willen beſtimmen, bey dieſer aber der Wille Urſache
von den Objecten ſeyn ſoll, ſo daß die Cauſalitaͤt deſſel-
ben ihren Beſtimmungsgrund lediglich in reinem Ver-
nunftvermoͤgen liegen hat, welches deshalb auch eine
reine practiſche Vernunft genannt werden kann.
Die zwey Aufgaben alſo: wie reine Vernunft
einerſeits a priori Objecte erkennen, und wie ſie an-
dererſeits unmittelbar ein Beſtimmungsgrund des Wil-
lens d. i. der Cauſalitaͤt des vernuͤnftigen Weſens in
Anſehung der Wirklichkeit der Objecte (blos durch den
Gedanken der Allgemeinguͤltigkeit ihrer eigenen Maxi-
men als Geſetzes) ſeyn koͤnne, ſind ſehr verſchieden.
Die erſte, als zur Critik der reinen ſpeculativen
Vernunft gehoͤrig, erfodert, daß zuvor erklaͤrt werde,
wie Anſchauungen, ohne welche uns uͤberall kein Ob-
ject gegeben und alſo auch keines ſynthetiſch erkannt
werden kann, a priori moͤglich ſind, und ihre Aufloͤſung
faͤllt dahin aus, daß ſie insgeſamt nur ſinnlich ſeyn,
daher auch kein ſpeculatives Erkenntniß moͤglich werden
laſſen, das weiter ginge, als moͤgliche Erfahrung reicht,
Die zweyte, als zur Critik der practiſchen Ver-
nunft gehoͤrig, fodert keine Erklaͤrung, wie die Objecte
des Begehrungsvermoͤgens moͤglich ſind, denn das
bleibt, als Aufgabe der theoretiſchen Naturkenntniß,
der Critik der ſpeculativen Vernunft uͤberlaſſen, ſon-
dern nur, wie Vernunft die Maxime des Willens be-
ſtimmen koͤnne, ob es nur vermittelſt empiriſcher Vor-
ſtellung, als Beſtimmungsgruͤnde, geſchehe, oder ob
auch reine Vernunft practiſch und ein Geſetz einer moͤg-
lichen, gar nicht empiriſch erkennbaren, Naturordnung
ſeyn wuͤrde. Die Moͤglichkeit einer ſolchen uͤberſinnli-
chen Natur, deren Begriff zugleich der Grund der
Wirklichkeit derſelben durch unſeren freyen Willen ſeyn
koͤnne, bedarf keiner Anſchauung a priori (einer intel-
ligibelen Welt), die in dieſem Falle, als uͤberſinnlich,
fuͤr uns auch unmoͤglich ſeyn muͤßte. Denn es kommt
nur auf den Beſtimmungsgrund des Wollens in den
Maximen deſſelben an, ob jener empiriſch, oder ein Be-
griff der reinen Vernunft (von der Geſetzmaͤßigkeit der-
ſelben uͤberhaupt) ſey, und wie er letzteres ſeyn koͤnne.
Ob die Cauſalitaͤt des Willens zur Wirklichkeit der Ob-
jecte zulange, oder nicht, bleibt den theoretiſchen Prin-
In dieſem Geſchaͤffte kann ſie alſo ohne Tadel und
muß ſie von reinen practiſchen Geſetzen und deren Wirk-
lichkeit anfangen. Statt der Anſchauung aber legt ſie
denſelben den Begriff ihres Daſeyns in der intelligibelen
Welt, nemlich der Freyheit, zum Grunde. Denn dieſer
bedeutet nichts anders, und jene Geſetze ſind nur in
Beziehung auf Freyheit des Willens moͤglich, unter
Vorausſetzung derſelben aber nothwendig, oder, umge-
kehrt, dieſe iſt nothwendig, weil jene Geſetze, als
practiſche Poſtulate, nothwendig ſind. Wie nun die-
ſes Bewußtſeyn der moraliſchen Geſetze, oder, welches
einerley iſt, das der Freyheit, moͤglich ſey, laͤßt ſich
Die Expoſition des oberſten Grundſatzes der pra-
ctiſchen Vernunft iſt nun geſchehen, d. i. erſtlich, was
er enthalte, daß er gaͤnzlich a priori und unabhaͤngig
von empiriſchen Principien fuͤr ſich beſtehe, und dann,
worin er ſich von allen anderen practiſchen Grundſaͤtzen
unterſcheide, gezeigt worden. Mit der Deduction,
d. i. der Rechtfertigung ſeiner objectiven und allgemei-
nen Guͤltigkeit und der Einſicht der Moͤglichkeit eines
ſolchen ſynthetiſchen Satzes a priori, darf man nicht
ſo gut fortzukommen hoffen, als es mit den Grund-
ſaͤtzen des reinen theoretiſchen Verſtandes anging.
Denn dieſe bezogen ſich auf Gegenſtaͤnde moͤglicher Er-
fahrung, nemlich auf Erſcheinungen, und man konnte
beweiſen, daß nur dadurch, daß dieſe Erſcheinungen
nach Maaßgabe jener Geſetze unter die Categorien ge-
bracht werden, dieſe Erſcheinungen als Gegenſtaͤnde
der Erfahrung erkannt werden koͤnnen, folglich alle
moͤgliche Erfahrung dieſen Geſetzen angemeſſen ſeyn
muͤſſe. Einen ſolchen Gang kann ich aber mit der De-
duction des moraliſchen Geſetzes nicht nehmen. Denn
es betrifft nicht das Erkenntniß von der Beſchaffenheit
der Gegenſtaͤnde, die der Vernunft irgend wodurch
anderwerts gegeben werden moͤgen, ſondern ein Er-
kenntniß, ſo fern es der Grund von der Exiſtenz der
Gegenſtaͤnde ſelbſt werden kann und die Vernunft durch
Nun iſt aber alle menſchliche Einſicht zu Ende, ſo
bald wir zu Grundkraͤften oder Grundvermoͤgen gelan-
get ſind; denn deren Moͤglichkeit kann durch nichts be-
griffen, darf aber auch eben ſo wenig beliebig erdichtet
und angenommen werden. Daher kann uns im theo-
retiſchen Gebrauche der Vernunft nur Erfahrung dazu
berechtigen, ſie anzunehmen. Dieſes Surrogat, ſtatt
einer Deduction aus Erkenntnißquellen a priori, empi-
riſche Beweiſe anzufuͤhren, iſt uns hier aber in Anſehung
des reinen practiſchen Vernunftvermoͤgens auch benom-
men. Denn, was den Beweisgrund ſeiner Wirklich-
keit von der Erfahrung herzuholen bedarf, muß den
Gruͤnden ſeiner Moͤglichkeit nach von Erfahrungsprin-
cipien abhaͤngig ſeyn, fuͤr dergleichen aber reine und
doch practiſche Vernunft ſchon ihres Begriffs wegen
unmoͤglich gehalten werden kann. Auch iſt das mora-
liſche Geſetz gleichſam als ein Factum der reinen Ver-
nunft, deſſen wir uns a priori bewußt ſind und welches
apodictiſch gewiß iſt, gegeben, geſetzt, daß man auch
in der Erfahrung kein Beyſpiel, da es genau befolgt
waͤre, auftreiben konnte. Alſo kann die objective
Realitaͤt des moraliſchen Geſetzes durch keine Deduction,
durch alle Anſtrengung der theoretiſchen, ſpeculativen
oder empiriſch unterſtuͤtzten Vernunft, bewieſen, und
Etwas anderes aber und ganz Widerſinniſches
tritt an die Stelle dieſer vergeblich geſuchten Deduction
des moraliſchen Princips, nemlich, daß es umgekehrt
ſelbſt zum Princip der Deduction eines unerforſchlichen
Vermoͤgens dient, welches keine Erfahrung beweiſen,
die ſpeculative Vernunft aber (um unter ihren cosmo-
logiſchen Ideen das Unbedingte ſeiner Cauſalitaͤt nach
zu finden, damit ſie ſich ſelbſt nicht widerſpreche,) we-
nigſtens als moͤglich annehmen mußte, nemlich das der
Freyheit, von der das moraliſche Geſetz, welches ſelbſt
keiner rechtfertigenden Gruͤnde bedarf, nicht blos die
Moͤglichkeit, ſondern die Wirklichkeit an Weſen bewei-
ſet, die dies Geſetz als fuͤr ſie verbindend erkennen.
Das moraliſche Geſetz iſt in der That ein Geſetz der
Cauſalitaͤt durch Freyheit, und alſo der Moͤglichkeit
einer uͤberſinnlichen Natur, ſo wie das metaphyſiſche
Geſetz der Begebenheiten in der Sinnenwelt ein Geſetz
der Cauſalitaͤt der ſinnlichen Natur war, und jenes
beſtimmt alſo das, was ſpeculative Philoſophie unbe-
ſtimmt laſſen mußte, nemlich das Geſetz fuͤr eine Cau-
ſalitaͤt, deren Begriff in der letzteren nur negativ war,
und verſchafft dieſem alſo zuerſt objective Realitaͤt.
Dieſe Art von Creditiv des moraliſchen Geſetzes,
da es ſelbſt als ein Princip der Deduction der Frey-
heit, als einer Cauſalitaͤt der reinen Vernunft, aufge-
ſtellt wird, iſt, da die theoretiſche Vernunft wenigſtens
die Moͤglichkeit einer Freyheit anzunehmen genoͤthigt
war, zu Ergaͤnzung eines Beduͤrfniſſes derſelben, ſtatt
aller Rechtfertigung a priori voͤllig hinreichend. Denn
das moraliſche Geſetz beweiſet ſeine Realitaͤt dadurch
auch fuͤr die Critik der ſpeculativen Vernunft genug-
thuend, daß es einer blos negativ gedachten Cauſalitaͤt,
deren Moͤglichkeit jener unbegreiflich und dennoch ſie
anzunehmen noͤthig war, poſitive Beſtimmung, nem-
lich den Begriff einer den Willen unmittelbar (durch
die Bedingung einer allgemeinen geſetzlichen Form ſei-
ner Maximen) beſtimmenden Vernunft hinzufuͤgt, und
ſo der Vernunft, die mit ihren Ideen, wenn ſie ſpecu-
lativ verfahren wollte, immer uͤberſchwenglich wurde,
zum erſtenmale objective, obgleich nur practiſche Rea-
litaͤt zu geben vermag und ihren transſcendenten Ge-
brauch in einen immanenten (im Felde der Erfah-
rung durch Ideen ſelbſt wirkende Urſachen zu ſeyn) ver-
wandelt.
Die Beſtimmung der Cauſalitaͤt der Weſen in der
Sinnenwelt, als einer ſolchen, konnte niemals unbe-
dingt ſeyn, und dennoch muß es zu aller Reihe der Be-
dingungen nothwendig etwas Unbedingtes, mithin auch
eine ſich gaͤnzlich von ſelbſt beſtimmende Cauſalitaͤt ge-
An dem moraliſchen Princip haben wir ein Geſetz der
Cauſalitaͤt aufgeſtellt, welches den Beſtimmungsgrund
der letzteren uͤber alle Bedingungen der Sinnenwelt
wegſetzt, und den Willen, wie er als zu einer intelligi-
belen Welt gehoͤrig beſtimmbar ſey, mithin das Sub-
ject dieſes Willens (den Menſchen) nicht blos als zu
einer reinen Verſtandeswelt gehoͤrig, obgleich in dieſer
Beziehung als uns unbekannt (wie es nach der Critik
David Hume, von dem man ſagen kann, daß er
alle Anfechtung der Rechte einer reinen Vernunft, wel-
che eine gaͤnzliche Unterſuchung derſelben nothwendig
machten, eigentlich anfing, ſchloß ſo. Der Begriff der
Urſache iſt ein Begriff, der die Nothwendigkeit der
Verknuͤpfung der Exiſtenz des Verſchiedenen, und zwar,
ſo fern es verſchieden iſt, enthaͤlt, ſo: daß, wenn A
geſetzt wird, ich erkenne, daß etwas davon ganz ver-
ſchiedenes, B, nothwendig auch exiſtiren muͤſſe. Noth-
wendigkeit kann aber nur einer Verknuͤpfung beygelegt
werden, ſo fern ſie a priori erkannt wird; denn die
Erfahrung wuͤrde von einer Verbindung nur zu erken-
nen geben, daß ſie ſey, aber nicht, daß ſie ſo noth-
wendigerweiſe ſey. Nun iſt es, ſagt er, unmoͤglich,
die Verbindung, die zwiſchen einem Dinge und einem
anderen, (oder einer Beſtimmung und einer anderen,
Die Mathematik war ſo lange noch gut wegge-
kommen, weil Hume dafuͤr hielt, daß ihre Saͤtze alle
analytiſch waͤren, d. i. von einer Beſtimmung zur
andern, um der Identitaͤt willen, mithin nach dem
Satze des Widerſpruchs fortſchritten, (welches aber
falſch iſt, indem ſie vielmehr alle ſynthetiſch ſind, und,
obgleich z. B. die Geometrie es nicht mit der Exiſtenz
der Dinge, ſondern nur ihrer Beſtimmung a priori in
einer moͤglichen Anſchauung zu thun hat, dennoch eben
ſo gut, wie durch Cauſalbegriffe, von einer Beſtim-
mung A zu einer ganz verſchiedenen B, als dennoch
Was nun meine Bearbeitung in der Critik der
reinen Vernunft betrifft, die zwar durch jene Humiſche
Zweifellehre veranlaßt ward, doch viel weiter ging, und
das ganze Feld der reinen theoretiſchen Vernunft im ſyn-
thetiſchen Gebrauche, mithin auch desjenigen, was
man Metaphyſik uͤberhaupt nennt, befaſſete: ſo verfuhr
ich, in Anſehung der den Begriff der Cauſalitaͤt be-
treffenden Zweifel des ſchottiſchen Philoſophen, auf
folgende Art. Daß Hume, wenn er (wie es doch
auch faſt uͤberall geſchieht,) die Gegenſtaͤnde der Er-
fahrung fuͤr Dinge an ſich ſelbſt nahm, den Begriff
der Urſache fuͤr truͤglich und falſches Blendwerk erklaͤr-
te, daran that er ganz recht; denn von Dingen an ſich
ſelbſt und deren Beſtimmungen als ſolchen kann nicht
eingeſehen werden, wie darum, weil etwas A geſetzt
wird, etwas anderes B auch nothwendig geſetzt wer-
den muͤſſe, und alſo konnte er eine ſolche Erkenntniß
a priori von Dingen an ſich ſelbſt gar nicht einraͤumen.
Einen empiriſchen Urſprung dieſes Begriffs konnte der
ſcharfſinnige Mann noch weniger verſtatten, weil dieſer
geradezu der Nothwendigkeit der Verknuͤpfung wider-
ſpricht, welche das Weſentliche des Begriffs der Cau-
ſalitaͤt ausmacht; mithin ward der Begriff in die Acht
erklaͤrt, und in ſeine Stelle trat die Gewohnheit im Be-
obachten des Laufs der Wahrnehmungen.
Aus meinen Unterſuchungen aber ergab es ſich,
daß die Gegenſtaͤnde, mit denen wir es in der Erfah-
rung zu thun haben, keinesweges Dinge an ſich ſelbſt,
ſondern blos Erſcheinungen ſind, und daß, obgleich bey
Dingen an ſich ſelbſt gar nicht abzuſehen iſt, ja unmoͤg-
lich iſt einzuſehen, wie, wenn A geſetzt wird, es wider-
ſprechend ſeyn ſolle, B, welches von A ganz verſchieden
iſt, nicht zu ſetzen, (die Rothwendigkeit der Verknuͤ-
pfung zwiſchen A als Urſache und B als Wirkung,) es
ſich doch ganz wohl denken laſſe, daß ſie als Erſchei-
nungen in einer Erfahrung auf gewiſſe Weiſe (z. B.
in Anſehung der Zeitverhaͤltniſſe) nothwendig verbun-
den ſeyn muͤſſen und nicht getrennt werden koͤnnen,
ohne derjenigen Verbindung zu widerſprechen, ver-
mittelſt deren dieſe Erfahrung moͤglich iſt, in welcher
ſie Gegenſtaͤnde und uns allein erkennbar ſind. Und ſo
fand es ſich auch in der That: ſo, daß ich den Begriff
der Urſache nicht allein nach ſeiner objectiven Realitaͤt
in Anſehung der Gegenſtaͤnde der Erfahrung beweiſen,
ſondern ihn auch, als Begriff a priori, wegen der
Nothwendigkeit der Verknuͤpfung, die er bey ſich fuͤhrt,
deduciren, d. i. ſeine Moͤglichkeit aus reinem Verſtan-
de, ohne empiriſche Quellen, darthun, und ſo, nach
Wegſchaffung des Empirismus ſeines Urſprungs, die
unvermeidliche Folge deſſelben, nemlich den Scepti-
cism, zuerſt in Anſehung der Naturwiſſenſchaft, dann
auch, wegen des ganz vollkommen aus denſelben Gruͤn-
Aber wie wird es mit der Anwendung dieſer Cate-
gorie der Cauſalitaͤt) und ſo auch aller uͤbrigen; denn
ohne ſie laͤßt ſich kein Erkenntniß des Exiſtirenden zu
Stande bringen;) auf Dinge, die nicht Gegenſtaͤnde
moͤglicher Erfahrung ſind, ſondern uͤber dieſer ihre
Grenze hinaus liegen? Denn ich habe die objective
Realitaͤt dieſer Begriffe nur in Anſehung der Gegen-
ſtaͤnde moͤglicher Erfahrung deduciren koͤnnen. Aber
eben dieſes, daß ich ſie auch nur in dieſem Falle geret-
tet habe, daß ich gewieſen habe, es laſſen ſich dadurch
doch Objecte denken, obgleich nicht a priori beſtim-
men: dieſes iſt es, was ihnen einen Platz im reinen
Verſtande giebt, von dem ſie auf Objecte uͤberhaupt
(ſinnliche, oder nicht ſinnliche) bezogen werden. Wenn
etwas noch fehlt, ſo iſt es die Bedingung der Anwen-
dung dieſer Categorien, und namentlich der der Cau-
ſalitaͤt, auf Gegenſtaͤnde, nemlich die Anſchauung, wel-
che, wo ſie nicht gegeben iſt, die Anwendung zum Be-
huf der theoretiſchen Erkenntniß des Gegenſtandes,
als Noumenon, unmoͤglich macht, die alſo, wenn es
jemand darauf wagt, (wie auch in der Critik der reinen
Vernunft geſchehen,) gaͤnzlich verwehrt wird, indeſſen,
Um nun dieſe Bedingung der Anwendung des ge-
dachten Begriffs auf Noumenen ausfindig zu machen,
duͤrfen wir nur zuruͤckſehen, weswegen wir nicht mit
der Anwendung deſſelben auf Erfahrungsgegen-
ſtaͤnde zufrieden ſind, ſondern ihn auch gern von Din-
gen an ſich ſelbſt brauchen moͤchten. Denn da zeigt ſich
bald, daß es nicht eine theoretiſche, ſondern practiſche
Abſicht ſey, welche uns dieſes zur Nothwendigkeit
macht. Zur Speculation wuͤrden wir, wenn es uns
Außer dem Verhaͤltniſſe aber, darin der Ver-
ſtand zu Gegenſtaͤnden (im theoretiſchen Erkenntniſſe)
ſteht, hat er auch eines zum Begehrungsvermoͤgen, das
darum der Wille heißt, und der reine Wille, ſo fern der
reine Verſtand (der in ſolchem Falle Vernunft heißt)
durch die bloße Vorſtellung eines Geſetzes practiſch iſt.
Die objective Realitaͤt eines reinen Willens, oder, wel-
ches einerley iſt. einer reinen practiſchen Vernunft iſt
im moraliſchen Geſetze a priori gleichſam durch ein
Factum gegeben; denn ſo kann man eine Willensbeſtim-
mung nennen, die unvermeidlich iſt, ob ſie gleich nicht
auf empiriſchen Principien beruht. Im Begriffe eines
Willens aber iſt der Begriff der Cauſalitaͤt ſchon ent-
halten, mithin in dem eines reinen Willens der Begriff
Haͤtte ich, mit Hume’n, dem Begriffe der Cau-
ſalitaͤt die objective Realitaͤt im practiſchen Gebrauche
nicht allein in Anſehung der Sachen an ſich ſelbſt (des
Ueberſinnlichen), ſondern auch in Anſehung der Gegen-
ſtaͤnde der Sinne genommen: ſo waͤre er aller Be-
deutung verluſtig und als ein theoretiſch unmoͤglicher
Begriff fuͤr gaͤnzlich unbrauchbar erklaͤrt worden; und,
da von nichts ſich auch kein Gebrauch machen laͤßt, der
practiſche Gebrauch eines theoretiſch-nichtigen Begriffs
ganz ungereimt geweſen. Nun aber der Begriff einer
empiriſch unbedingten Cauſalitaͤt theoretiſch zwar leer
(ohne darauf ſich ſchickende Anſchauung), aber immer
doch moͤglich iſt und ſich auf ein unbeſtimmt Object be-
zieht, ſtatt dieſes aber ihm doch an dem moraliſchen
Geſetze, folglich in practiſcher Beziehung, Bedeutung
gegeben wird, ſo habe ich zwar keine Anſchauung, die
ihm ſeine objective theoretiſche Realitaͤt beſtimmte, aber
Aber dieſe einmal eingeleitete objective Realitaͤt
eines reinen Verſtandesbegriffs im Felde des Ueberſinn-
lichen, giebt nunmehr allen uͤbrigen Categorien, ob-
gleich immer nur, ſo fern ſie mit dem Beſtimmungs-
grunde des reinen Willens (dem moraliſchen Geſetze)
in nothwendiger Verbindung ſtehen, auch objective,
nur keine andere als blos practiſch-anwendbare Reali-
taͤt, indeſſen ſie auf theoretiſche Erkenntniſſe dieſer Ge-
genſtaͤnde, als Einſicht der Natur derſelben durch reine
Vernunft, nicht den mindeſten Einfluß hat, um dieſelbe
zu erweitern. Wie wir denn auch in der Folge finden
werden, daß ſie immer nur auf Weſen als Intelligen-
zen, und an dieſen auch nur auf das Verhaͤltniß der
Vernunft zum Willen, mithin immer nur aufs
Practiſche Beziehung haben und weiter hinaus ſich
kein Erkenntniß derſelben anmaaßen; was aber mit ih-
nen in Verbindung noch ſonſt fuͤr Eigenſchaften, die
zur theoretiſchen Vorſtellungsart ſolcher uͤberſinnlichen
Dinge gehoͤren, herbeygezogen werden moͤchten, dieſe
insgeſamt alsdenn gar nicht zum Wiſſen, ſondern nur
zur Befugniß (in practiſcher Abſicht aber gar zur Noth-
wendigkeit) ſie anzunehmen und vorauszuſetzen gezaͤhlt
Unter einem Begriffe der practiſchen Vernunft ver-
ſtehe ich die Vorſtellung eines Objects als einer
moͤglichen Wirkung durch Freyheit. Ein Gegenſtand
der practiſchen Erkenntniß, als einer ſolchen, zu ſeyn,
bedeutet alſo nur die Beziehung des Willens auf die Hand-
lung, dadurch er, oder ſein Gegentheil, wirklichge-
macht wuͤrde, und die Beurtheilung, ob etwas ein Ge-
genſtand der reinen practiſchen Vernunft ſey, oder nicht,
iſt nur die Unterſcheidung der Moͤglichkeit oder Unmoͤg-
lichkeit, diejenige Handlung zu wollen, wodurch, wenn
wir das Vermoͤgen dazu haͤtten (woruͤber die Erfah-
rung urtheilen muß), ein gewiſſes Object wirklichwer-
Die alleinigen Objecte einer practiſchen Vernunft
ſind alſo die vom Guten und Boͤſen. Denn durch
das erſtere verſteht man einen nothwendigen Gegenſtand
des Begehrungs-, durch das zweyte des Verabſcheu-
ungsvermoͤgens, beides aber nach einem Princip der
Vernunft.
Wenn der Begriff des Guten nicht von einem vor-
hergehenden practiſchen Geſetze abgeleitet werden, ſondern
dieſem vielmehr zum Grunde dienen ſoll, ſo kann er
Es iſt eine alte Formel der Schulen: nihil appe-
timus, niſi ſub ratione boni; nihil averſamur, niſi
ſub ratione mali; und ſie hat einen oft richtigen, aber
auch der Philoſophie oft ſehr nachtheiligen Gebrauch,
weil die Ausdruͤcke des boni und mali eine Zweydeu-
Die deutſche Sprache hat das Gluͤck, die Ausdruͤcke
zu beſitzen, welche dieſe Verſchiedenheit nicht uͤberſehen
laſſen. Fuͤr das, was die Lateiner mit einem einzigen
Worte bonum benennen, hat ſie zwey ſehr verſchiedene
Begriffe, und auch eben ſo verſchiedene Ausdruͤcke. Fuͤr
bonum das Gute und das Wohl, fuͤr malum das
Boͤſe und das Uebel (oder Weh): ſo daß es zwey
Das Wohl oder Uebel bedeutet immer nur eine
Beziehung auf unſeren Zuſtand der Annehmlichkeit
oder Unannehmlichkeit, des Vergnuͤgens und Schmer-
zens, und, wenn wir darum ein Object begehren, oder
verabſcheuen, ſo geſchieht es, nur ſo fern es auf unſere
Sinnlichkeit und das Gefuͤhl der Luſt und Unluſt, das
es bewirkt, bezogen wird. Das Gute oder Boͤſe be-
deutet aber jederzeit eine Beziehung auf den Willen,
ſo fern dieſer durchs Vernunftgeſetz beſtimmt wird, ſich
etwas zu ſeinem Objecte zu machen; wie er denn durch
das Object und deſſen Vorſtellung niemals unmittelbar
beſtimmt wird, ſondern ein Vermoͤgen iſt, ſich eine Re-
gel der Vernunft zur Bewegurſache einer Handlung
(dadurch ein Object wirklichwerden kann) zu machen.
Das Gute oder Boͤſe wird alſo eigentlich auf Handlun-
gen, nicht auf den Empfindungszuſtand der Perſon be-
Man mochte alſo immer den Stoiker auslachen,
der in den heftigſten Gichtſchmerzen ausrief: Schmerz,
du magſt mich noch ſo ſehr foltern, ich werde doch nie
geſtehen, daß du etwas Boͤſes (κακον, malum) ſeyſt!
er hatte doch recht. Ein Uebel war es, das fuͤhlte er,
und das verrieth ſein Geſchrey; aber daß ihm dadurch
ein Boͤſes anhinge, hatte er gar nicht Urſache einzuraͤu-
men; denn der Schmerz verringert den Werth ſeiner
Perſon nicht im mindeſten, ſondern nur den Werth
ſeines Zuſtandes. Eine einzige Luͤge, deren er ſich be-
wußt geweſen waͤre, haͤtte ſeinen Muth niederſchlagen
muͤſſen; aber der Schmerz diente nur zur Veranlaſ-
ſung, ihn zu erheben, wenn er ſich bewußt war, daß er
ſie durch keine unrechte Handlung verſchuldet und ſich
dadurch ſtrafwuͤrdig gemacht habe.
Was wir gut nennen ſollen, muß in jedes ver-
nuͤnftigen Menſchen Urtheil ein Gegenſtand des Begeh-
rungsvermoͤgens ſeyn, und das Boͤſe in den Augen von
jedermann ein Gegenſtand des Abſcheues; mithin be-
darf es, außer dem Sinne, zu dieſer Beurtheilung noch
Es kommt allerdings auf unſer Wohl und Weh
in der Beurtheilung unſerer practiſchen Vernunft gar
ſehr viel, und, was unſere Natur als ſinnlicher
Weſen betrifft, alles auf unſere Gluͤckſeligkeit an, wenn
dieſe, wie Vernunft es vorzuͤglich fodert, nicht nach
der voruͤbergehenden Empfindung, ſondern nach dem
Einfluſſe, den dieſe Zufaͤlligkeit auf unſere ganze Exi-
ſtenz und die Zufriedenheit mit derſelben hat, beurtheilt
In dieſer Beurtheilung des an ſich Guten und
Boͤſen, zum Unterſchiede von dem, was nur beziehungs-
weiſe auf Wohl oder Uebel ſo genannt werden kann,
kommt es auf folgende Puncte an. Entweder ein Ver-
nunftprincip wird ſchon an ſich als der Beſtimmungs-
grund des Willens gedacht, ohne Ruͤckſicht auf moͤgli-
che Objecte des Begehrungsvermoͤgens, (alſo blos durch
die geſetzliche Form der Maxime,) alsdenn iſt jenes
Princip practiſches Geſetz a priori, und reine Vernunft
wird fuͤr ſich practiſch zu ſeyn angenommen. Das Ge-
ſetz beſtimmt alsdenn unmittelbar den Willen, die ihm
gemaͤße Handlung iſt an ſich ſelbſt gut, ein Wille,
deſſen Maxime jederzeit dieſem Geſetze gemaͤß iſt, iſt
ſchlechterdings, in aller Abſicht, gut, und die oberſte
Bedingung alles Guten: oder es geht ein Beſtim-
mungsgrund des Begehrungsvermoͤgens vor der Ma-
xime des Willens vorher, der ein Object der Luſt und
Unluſt vorausſetzt, mithin etwas, das vergnuͤgt oder
ſchmerzt, und die Maxime der Vernunft, jene zu be-
foͤrdern, dieſe zu vermeiden, beſtimmt die Handlungen,
wie ſie beziehungsweiſe auf unſere Neigung, mithin
nur mittelbar (in Ruͤckſicht auf einen anderweitigen
Zweck, als Mittel zu demſelben) gut ſind, und dieſe
Maximen koͤnnen alsdenn niemals Geſetze, dennoch aber
vernuͤnftige, practiſche Vorſchriften heißen. Der Zweck
Hier iſt nun der Ort, das Paradoxon der Me-
thode in einer Critik der practiſchen Vernunft zu erklaͤ-
ren: daß nemlich der Begriff des Guten und Boͤſen
nicht vor dem moraliſchen Geſetze, (dem es dem
Anſchein nach ſo gar zum Grunde gelegt werden
muͤßte,) ſondern nur (wie hier auch geſchieht)
nach demſelben und durch daſſelbe beſtimmt werden
muͤſſe. Wenn wir nemlich auch nicht wuͤßten, daß
das Princip der Sittlichkeit ein reines a priori den
Willen beſtimmendes Geſetz ſey, ſo muͤßten wir doch,
um nicht ganz umſonſt (gratis) Grundſaͤtze anzuneh-
men, es anfaͤnglich wenigſtens unausgemacht laſſen,
ob der Wille blos empiriſche, oder auch reine Beſtim-
mungsgruͤnde a priori habe; denn es iſt wider alle
Grundregeln des philoſophiſchen Verfahrens, das,
Dieſe Anmerkung, welche blos die Methode der
oberſten moraliſchen Unterſuchungen betrifft, iſt von
Wichtigkeit. Sie erklaͤrt auf einmal den veranlaſſen-
den Grund aller Verirrungen der Philoſophen in An-
ſehung des oberſten Princips der Moral. Denn ſie
ſuchten einen Gegenſtand des Willens auf, um ihn zur
Materie und dem Grunde eines Geſetzes zu machen,
(welches alsdenn nicht unmittelbar, ſondern vermittelſt
jenes an das Gefuͤhl der Luſt oder Unluſt gebrachten
Gegenſtandes, der Beſtimmungsgrund des Willens ſeyn
Da nun die Begriffe des Guten und Boͤſen, als
Folgen der Willensbeſtimmung a priori, auch ein rei-
nes practiſches Princip, mithin eine Cauſalitaͤt der rei-
nen Vernunft vorausſetzen: ſo beziehen ſie ſich, ur-
ſpruͤnglich, nicht (etwa als Beſtimmungen der ſynthe-
tiſchen Einheit des Mannigfaltigen gegebener Anſchau-
ungen in einem Bewußtſeyn) auf Objecte, wie die
reinen Verſtandesbegriffe, oder Categorien der theore-
tiſchgebrauchten Vernunft, ſie ſetzen dieſe vielmehr als
gegeben voraus: ſondern ſie ſind insgeſamt modi einer
einzigen Categorie, nemlich der der Cauſalitaͤt, ſo fern
der Beſtimmungsgrund derſelben in der Vernunftvor-
ſtellung eines Geſetzes derſelben beſteht, welches, als
Geſetz der Freyheit, die Vernunft ſich ſelbſt giebt und
dadurch ſich a priori als practiſch beweiſet. Da indeſ-
Dieſe Categorien der Freyheit, denn ſo wollen
wir ſie, ſtatt jener theoretiſchen Begriffe, als Catego-
rien der Natur benennen, haben einen augenſcheinlichen
Vorzug vor den letzteren, daß, da dieſe nur Gedanken-
formen ſind, welche nur unbeſtimmt Objecte uͤberhaupt
fuͤr jede uns moͤgliche Anſchauung durch allgemeine Be-
griffe bezeichnen, dieſe hingegen, da ſie auf die Beſtim-
mung einer freyen Willkuͤhr gehen, (der zwar keine
Anſchauung, voͤllig correſpondirend, gegeben werden
kann, die aber, welches bey keinen Begriffen des theo-
retiſchen Gebrauchs unſeres Erkenntnißvermoͤgens ſtatt-
findet, ein reines practiſches Geſetz a priori zum Grunde
Man wird hier bald gewahr, daß, in dieſer Ta-
fel, die Freyheit, als eine Art von Cauſalitaͤt, die aber
empiriſchen Beſtimmungsgruͤnden nicht unterw[o]rfen iſt,
in Anſehung der durch ſie moͤglichen Handlungen, als
Erſcheinungen in der Sinnenwelt, betrachtet werde,
folglich ſich auf die Categorien ihrer Naturmoͤglichkeit
beziehe, indeſſen daß doch jede Categorie ſo allgemein
genommen wird, daß der Beſtimmungsgrund jener Cau-
ſalitaͤt auch außer der Sinnenwelt in der Freyheit als
Eigenſchaft eines intelligibelen Weſens angenommen wer-
den kann, bis die Categorien der Modalitaͤt den Ueber-
gang von practiſchen Principien uͤberhaupt zu denen der
Sittlichkeit, aber nur problematiſch, einleiten, welche
nachher durchs moraliſche Geſetz allererſt dogmatiſch
dargeſtellt werden koͤnnen.
Ich fuͤge hier nichts weiter zur Erlaͤuterung ge-
genwaͤrtiger Tafel bey, weil ſie fuͤr ſich verſtaͤndlich ge-
nug iſt. Dergleichen nach Principien abgefaßte Ein-
theilung iſt aller Wiſſenſchaft, ihrer Gruͤndlichkeit ſowol
als Verſtaͤndlichkeit halber, ſehr zutraͤglich. So weiß
man, z. B., aus obiger Tafel und der erſten Nummer
derſelben ſogleich, wovon man in practiſchen Erwaͤgun-
gen anfangen muͤſſe: von den Maximen, die jeder auf
ſeine Neigung gruͤndet, den Vorſchriften, die fuͤr eine
Gattung vernuͤnftiger Weſen, ſo fern ſie in gewiſſen
Neigungen uͤbereinkommen, gelten, und endlich dem
Geſetze, welches fuͤr alle, unangeſehen ihrer Nei-
Die Begriffe des Guten und Boͤſen beſtimmen
dem Willen zuerſt ein Object. Sie ſtehen ſelbſt aber
unter einer practiſchen Regel der Vernunft, welche, wenn
ſie reine Vernunft iſt, den Willen a priori in Anſehung
ſeines Gegenſtandes beſtimmt. Ob nun eine uns in
der Sinnlichkeit moͤgliche Handlung der Fall ſey, der
unter der Regel ſtehe, oder nicht, dazu gehoͤrt practi-
ſche Urtheilskraft, wodurch dasjenige, was in der Re-
gel allgemein (in abſtracto) geſagt wurde, auf eine
Handlung in concreto angewandt wird. Weil aber
eine practiſche Regel der reinen Vernunft erſtlich, als
practiſch, die Exiſtenz eines Objects betrifft, und
zweytens, als practiſche Regel der reinen Vernunft,
Nothwendigkeit in Anſehung des Daſeyns der Handlung
bey ſich fuͤhrt, mithin practiſches Geſetz iſt, und zwar
nicht Naturgeſetz, durch empiriſche Beſtimmungsgruͤnde,
ſondern ein Geſetz der Freyheit, nach welchem der
Wille, unabhaͤngig von allem Empiriſchen, (blos durch
die Vorſtellung eines Geſetzes uͤberhaupt und deſſen
Allein hier eroͤffnet ſich doch wieder eine guͤnſtige
Ausſicht fuͤr die reine practiſche Urtheilskraft. Es iſt
bey der Subſumtion einer mir in der Sinnenwelt moͤg-
lichen Handlung unter einem reinen practiſchen Geſe-
tze nicht um die Moͤglichkeit der Handlung, als einer
Begebenheit in der Sinnenwelt, zu thun; denn die ge-
hoͤrt fuͤr die Beurtheilung des theoretiſchen Gebrauchs
der Vernunft, nach dem Geſetze der Cauſalitaͤt, eines
reinen Verſtandesbegriffs, fuͤr den ſie ein Schema in
der ſinnlichen Anſchauung hat. Die phyſiſche Cauſali-
taͤt, oder die Bedingung, unter der ſie ſtattfindet, ge-
hoͤrt unter die Naturbegriffe, deren Schema transſcen-
dentale Einbildungskraft entwirft. Hier aber iſt es
nicht um das Schema eines Falles nach Geſetzen, ſon-
dern um das Schema (wenn dieſes Wort hier ſchicklich
iſt) eines Geſetzes ſelbſt zu thun, weil die Willensbe-
ſtimmung (nicht der Handlung in Beziehung auf ihren
Erfolg) durchs Geſetz allein, ohne einen anderen Be-
ſtimmungsgrund, den Begriff der Cauſalitaͤt an ganz
andere Bedingungen bindet, als diejenige ſind, welche
die Naturverknuͤpfung ausmachen.
Dem Naturgeſetze, als Geſetze, welchem die Ge-
genſtaͤnde ſinnlicher Anſchauung, als ſolche, unter-
Die Regel der Urtheilskraft unter Geſetzen der
reinen practiſchen Vernunft iſt dieſe: Frage dich ſelbſt,
ob die Handlung, die du vorhaſt, wenn ſie nach einem
Geſetze der Natur, von der du ſelbſt ein Theil waͤreſt,
geſchehen ſollte, ſie du wol, als durch deinen Willen
moͤglich, anſehen koͤnnteſt. Nach dieſer Regel beurtheilt
in der That jedermann Handlungen, ob ſie ſittlich-gut
oder boͤſe ſind. So ſagt man: Wie, wenn ein jeder,
Es iſt alſo auch erlaubt, die Natur der Sinnen-
welt als Typus einer intelligibelen Natur zu brau-
chen, ſo lange ich nur nicht die Anſchauungen, und was
davon abhaͤngig iſt, auf dieſe uͤbertrage, ſondern blos
die Form der Geſetzmaͤßigkeit uͤberhaupt (deren Be-
griff auch im reinſten Vernunftgebrauche ſtattfindet,
aber in keiner anderen Abſicht, als blos zum reinen prac-
tiſchen Gebrauche der Vernunft, a priori beſtimmt er-
kannt werden kann,) darauf beziehe. Denn Geſetze, als
ſolche, ſind ſo fern einerley, ſie moͤgen ihre Beſtim-
mungsgruͤnde hernehmen, woher ſie wollen.
Uebrigens, da von allem Intelligibelen ſchlechter-
dings nichts als (vermittelſt des moraliſchen Geſetzes)
die Freyheit, und auch dieſe nur ſo fern ſie eine von
jenem unzertrennliche Vorausſetzung iſt, und ferner alle
intelligibele Gegenſtaͤnde, auf welche uns die Vernunft,
nach Anleitung jenes Geſetzes, etwa noch fuͤhren moͤchte,
wiederum fuͤr uns keine Realitaͤt weiter haben, als zum
Behuf deſſelben Geſetzes und des Gebrauches der reinen
practiſchen Vernunft, dieſe aber zum Typus der Ur-
theilskraft die Natur (der reinen Verſtandesform der-
ſelben nach) zu gebrauchen berechtigt und auch benoͤ-
thigt iſt: ſo dient die gegenwaͤrtige Anmerkung dazu,
um zu verhuͤten, daß, was blos zur Typik der Be-
griffe gehoͤrt, nicht zu den Begriffen ſelbſt gezaͤhlt wer-
de. Dieſe alſo, als Typik der Urtheilskraft, bewahrt
fuͤr dem Empirism der practiſchen Vernunft, der die
Das Weſentliche alles ſittlichen Werths der Hand-
lungen kommt darauf an, daß das moraliſche
Geſetz unmittelbar den Willen beſtimme. Geſchieht
die Willensbeſtimmung zwar gemaͤß dem moraliſchen
Geſetze, aber nur vermittelſt eines Gefuͤhls, welcher
Da man alſo zum Behuf des moraliſchen Geſetzes,
und um ihm Einfluß auf den Willen zu verſchaffen, kei-
ne anderweitige Triebfeder, dabey die des moraliſchen
Geſetzes entbehrt werden koͤnnte, ſuchen muß, weil das
Das Weſentliche aller Beſtimmung des Willens
durchs ſittliche Geſetz iſt: daß er als freyer Wille, mit-
hin nicht blos ohne Mitwirkung ſinnlicher Antriebe,
ſondern ſelbſt mit Abweiſung aller derſelben, und mit Ab-
bruch aller Neigungen, ſo fern ſie jenem Geſetze zuwider
ſeyn koͤnnten, blos durchs Geſetz beſtimmt werde. So
weit iſt alſo die Wirkung des moraliſchen Geſetzes als
Triebfeder nur negativ, und als ſolche kann dieſe
Triebfeder a priori erkannt werden. Denn alle Nei-
Wir haben im vorigen Hauptſtuͤcke geſehen: daß
alles, was ſich als Object des Willens vor dem mora-
liſchen Geſetze darbietet, von den Beſtimmungsgruͤnden
des Willens, unter dem Namen des unbedingt-Guten,
Die negative Wirkung auf Gefuͤhl (der Unannehm-
lichkeit) iſt, ſo wie aller Einfluß auf daſſelbe, und wie
jedes Gefuͤhl uͤberhaupt, pathologiſch. Als Wirkung
aber vom Bewußtſeyn des moraliſchen Geſetzes, folglich
in Beziehung auf eine intelligibele Urſache, nemlich
das Subject der reinen practiſchen Vernunft, als ober-
ſten Geſetzgeberin, heißt dieſes Gefuͤhl eines vernuͤnfti-
gen von Neigungen afficirten Subjects, zwar Demuͤ-
thigung (intellectuelle Verachtung), aber in Beziehung
auf den poſitiven Grund derſelben das Geſetz zugleich
Achtung fuͤr daſſelbe, fuͤr welches Geſetz gar kein Gefuͤhl
ſtattfindet, ſondern im Urtheile der Vernunft, indem
es den Widerſtand aus dem Wege ſchafft, die Wegraͤu-
mung eines Hinderniſſes einer poſitiven Befoͤrderung
der Cauſalitaͤt gleichgeſchaͤtzt wird. Darum kann die-
ſes Gefuͤhl nun auch ein Gefuͤhl der Achtung fuͤrs mo-
raliſche Geſetz, aus beiden Gruͤnden zuſammen aber
ein moraliſches Gefuͤhl genannt werden.
Das moraliſche Geſetz alſo, ſo wie es formaler
Beſtimmungsgrund der Handlung iſt, durch practiſche
reine Vernunft, ſo wie es zwar auch materialer, aber
nur objectiver Beſtimmungsgrund der Gegenſtaͤnde der
Handlung unter dem Namen des Guten und Boͤſen, iſt,
ſo iſt es auch ſubjectiver Beſtimmungsgrund, d. i. Trieb-
feder, zu dieſer Handlung, indem es auf die Sittlichkeit
des Subjects Einfluß hat, und ein Gefuͤhl bewirkt,
welches dem Einfluſſe des Geſetzes auf den Willen befoͤr-
Dieſes Gefuͤhl (unter dem Namen des morali-
ſchen) iſt alſo lediglich durch Vernunft bewirkt. Es
dient nicht zu Beurtheilung der Handlungen, oder wol
gar zur Gruͤndung des objectiven Sittengeſetzes ſelbſt,
ſondern blos zur Triebfeder, um dieſes in ſich zur Ma-
xime zu machen. Mit welchem Namen aber koͤnnte
man dieſes ſonderbare Gefuͤhl, welches mit keinem pa-
thologiſchen in Vergleichung gezogen werden kann,
ſchicklicher belegen? Es iſt ſo eigenthuͤmlicher Art, daß
es lediglich der Vernunft, und zwar der practiſchen rei-
nen Vernunft, zu Gebote zu ſtehen ſcheint.
Achtung geht jederzeit nur auf Perſonen, nie-
mals auf Sachen. Die letztere koͤnnen Neigung, und
wenn es Thiere ſind (z. B. Pferde, Hunde etc.), ſo gar
Liebe, oder auch Furcht, wie das Meer, ein Vulcan,
ein Raubthier, niemals aber Achtung in uns erwecken.
Etwas, was dieſem Gefuͤhl ſchon naͤher tritt, iſt Be-
wunderung, und dieſe, als Affect, das Erſtaunen,
Die Achtung iſt ſo wenig ein Gefuͤhl der Luſt,
daß man ſich ihr in Anſehung eines Menſchen nur un-
gern uͤberlaͤßt. Man ſucht etwas ausfindig zu machen,
was uns die Laſt derſelben erleichtern koͤnne, irgend
einen Tadel, um uns wegen der Demuͤthigung, die
uns durch ein ſolches Beyſpiel widerfaͤhrt, ſchadlos zu
halten. Selbſt Verſtorbene ſind, vornehmlich wenn
ihr Beyſpiel unnachahmlich ſcheint, vor dieſer Critik
nicht immer geſichert. So gar das moraliſche Geſetz
ſelbſt, in ſeiner feyerlichen Majeſtaͤt, iſt dieſem Be-
ſtreben, ſich der Achtung dagegen zu erwehren, ausge-
ſetzt. Meynt man wol, daß es einer anderen Urſache zu-
zuſchreiben ſey, weswegen man es gern zu unſerer ver-
traulichen Neigung herabwuͤrdigen moͤchte, und ſich
aus anderen Urſachen alles ſo bemuͤhe, um es zur be-
liebten Vorſchrift unſeres eigenen wohlverſtandenen
Vortheils zu machen, als daß man der abſchreckenden
Achtung fuͤrs moraliſche Geſetz iſt alſo die einzige
und zugleich unbezweifelte moraliſche Triebfeder, ſo
wie dieſes Gefuͤhl auch auf kein Object anders, als
lediglich aus dieſem Grunde gerichtet iſt. Zuerſt be-
ſtimmt das moraliſche Geſetz objectiv und unmittelbar
den Willen im Urtheile der Vernunft; Freyheit, deren
Cauſalitaͤt blos durchs Geſetz beſtimmbar iſt, beſteht
aber eben darin, daß ſie alle Neigungen, mithin die
Schaͤtzung der Perſon ſelbſt auf die Bedingung der Be-
folgung ihres reinen Geſetzes einſchraͤnkt. Dieſe Ein-
ſchraͤnkung thut nun eine Wirkung aufs Gefuͤhl, und
bringt Empfindung der Unluſt hervor, die aus dem
moraliſchen Geſetze a priori erkannt werden kann. Da
ſie aber blos ſo fern eine negative Wirkung iſt, die, als
aus dem Einfluſſe einer reinen practiſchen Vernunft
entſprungen, vornemlich der Thaͤtigkeit des Subjects,
ſo fern Neigungen die Beſtimmungsgruͤnde deſſelben
ſind, mithin der Meynung ſeines perſoͤnlichen Werths
Abbruch thut, (der ohne Einſtimmung mit dem mo-
raliſchen Geſetze auf nichts herabgeſetzt wird,) ſo iſt
Es liegt ſo etwas beſonderes in der grenzenloſen
Hochſchaͤtzung des reinen, von allem Vortheil entbloͤß-
Das Bewußtſeyn einer freyen Unterwerfung des
Willens unter das Geſetz, doch als mit einem unver-
Der Begriff der Pflicht fodert alſo an der Hand-
lung, objectiv, Uebereinſtimmung mit dem Geſetze, an
der Maxime derſelben aber, ſubjectiv, Achtung fuͤrs
Geſetz, als die alleinige Beſtimmungsart des Willens
durch daſſelbe. Und darauf beruht der Unterſchied zwi-
ſchen dem Bewußtſeyn, pflichtmaͤßig und aus Pflicht,
d. i. aus Achtung fuͤr’s Geſetz, gehandelt zu haben, da-
von das erſtere (die Legalitaͤt) auch moͤglich iſt, wenn
Neigungen blos die Beſtimmungsgruͤnde des Willens
geweſen waͤren, das zweyte aber, (die Moralitaͤt,)
der moraliſche Werth, lediglich darin geſetzt werden
muß, daß die Handlung aus Pflicht, d. i. blos um des
Geſetzes willen geſchehe. *)
Es iſt von der groͤßten Wichtigkeit in allen mora-
liſchen Beurtheilungen auf das ſubjective Princip aller
Maximen mit der aͤußerſten Genauigkeit Acht zu haben,
damit alle Moralitaͤt der Handlungen in der Nothwen-
digkeit derſelben aus Pflicht und aus Achtung fuͤrs
Geſetz, nicht aus Liebe und Zuneigung zu dem, was
die Handlungen hervorbringen ſollen, geſetzt werde.
Fuͤr Menſchen und alle erſchaffene vernuͤnftige Weſen
iſt die moraliſche Nothwendigkeit Noͤthigung, d. i. Ver-
bindlichkeit, und jede darauf gegruͤndete Handlung als
Pflicht, nicht aber als eine uns von ſelbſt ſchon beliebte,
oder beliebt werden koͤnnende Verfahrungsart vorzu-
ſtellen. Gleich als ob wir es dahin jemals bringen
koͤnnten, daß ohne Achtung fuͤrs Geſetz, welche mit Furcht
oder wenigſtens Beſorgniß vor Uebertretung verbunden
iſt, wir, wie die uͤber alle Abhaͤngigkeit erhabene Gott-
heit, von ſelbſt, gleichſam durch eine uns zur Natur
gewordene, niemals zu verruͤckende Uebereinſtimmung
des Willens mit dem reinen Sittengeſetze, (welches
alſo, da wir niemals verſucht werden koͤnnen, ihm
Das moraliſche Geſetz iſt nemlich fuͤr den Willen
eines allervollkommenſten Weſens ein Geſetz der Heilig-
keit, fuͤr den Willen jedes endlichen vernuͤnftigen Weſens
aber ein Geſetz der Pflicht, der moraliſchen Noͤthigung
und der Beſtimmung der Handlungen deſſelben durch
Achtung fuͤr dies Geſetz und aus Ehrfurcht fuͤr ſeine
Pflicht. Ein anderes ſubjectives Princip muß zur Trieb-
feder nicht angenommen werden, denn ſonſt kann zwar
die Handlung, wie das Geſetz ſie vorſchreibt, ausfal-
len, aber, da ſie zwar pflichtmaͤßig iſt, aber nicht aus
Pflicht geſchieht, ſo iſt die Geſinnung dazu nicht mora-
liſch, auf die es doch in dieſer Geſetzgebung eigentlich
ankoͤmmt.
Es iſt ſehr ſchoͤn, aus Liebe zu Menſchen und theil-
nehmendem Wohlwollen ihnen Gutes zu thun, oder
aus Liebe zur Ordnung gerecht zu ſeyn, aber das iſt
noch nicht die aͤchte moraliſche Maxime unſers Verhal-
tens, die unſerm Standpuncte, unter vernuͤnftigen
Weſen, als Menſchen, angemeſſen iſt, wenn wir uns
anmaaßen, gleichſam als Volontaire, uns mit ſtolzer
Einbildung uͤber den Gedanken von Pflicht wegzuſetzen,
und uns, als vom Gebote unabhaͤngig, blos aus eige-
ner Luſt das thun zu wollen, wozu fuͤr uns kein Gebot
Hiemit ſtimmt aber die Moͤglichkeit eines ſolchen
Gebots, als: Liebe Gott uͤber alles und deinen Naͤch-
ſten als dich ſelbſt *), ganz wohl zuſammen. Denn
Dieſe Betrachtung iſt hier nicht ſo wohl dahin ab-
gezweckt, das angefuͤhrte evangeliſche Gebot auf deut-
liche Begriffe zu bringen, um der Religionsſchwaͤrme-
rey in Anſehung der Liebe Gottes, ſondern die ſittliche
Geſinnung, auch unmittelbar in Anſehung der Pflich-
ten gegen Menſchen, genau zu beſtimmen, und einer
blos moraliſchen Schwaͤrmerey, welche viel Koͤpfe an-
ſteckt, zu ſteuren, oder, wo moͤglich, vorzubeugen.
Die ſittliche Stufe, worauf der Menſch (aller unſerer
Einſicht nach auch jedes vernuͤnftige Geſchoͤpf) ſteht, iſt
Achtung fuͤrs moraliſche Geſetz. Die Geſinnung, die
ihm, dieſes zu befolgen, obliegt, iſt, es aus Pflicht,
Wenn Schwaͤrmerey in der allergemeinſten Be-
deutung eine nach Grundſaͤtzen unternommene Ueber-
ſchreitung der Grenzen der menſchlichen Vernunft iſt,
ſo iſt moraliſche Schwaͤrmerey dieſe Ueberſchreitung
der Grenzen, die die practiſche reine Vernunft der
Menſchheit ſetzt, dadurch ſie verbietet den ſubjectiven
Beſtimmungsgrund pflichtmaͤßiger Handlungen, d. i.
die moraliſche Triebfeder derſelben, irgend worin an-
ders, als im Geſetze ſelbſt, und die Geſinnung, die da-
durch in die Maximen gebracht wird, irgend ander-
werts, als in der Achtung fuͤr dies Geſetz, zu ſetzen,
mithin den alle Arroganz ſowol als eitele Philavtie
niederſchlagenden Gedanken von Pflicht zum oberſten
Lebensprincip aller Moralitaͤt im Menſchen zu machen
gebietet.
Wenn dem alſo iſt, ſo haben nicht allein Roman-
ſchreiber, oder empfindelnde Erzieher (ob ſie gleich noch
ſo ſehr wider Empfindeley eifern), ſondern bisweilen
ſelbſt Philoſophen, ja die ſtrengſten unter allen, die
Stoiker, moraliſche Schwaͤrmerey, ſtatt nuͤchterner,
aber weiſer Diſciplin der Sitten, eingefuͤhrt, wenn
gleich die Schwaͤrmerey der letzteren mehr heroiſch, der
erſteren von ſchaaler und ſchmelzender Beſchaffenheit
war, und man kann es, ohne zu heucheln, der mora-
liſchen Lehre des Evangelii mit aller Wahrheit nachſa-
gen: daß es zuerſt, durch die Reinigkeit des moraliſchen
Princips, zugleich aber durch die Angemeſſenheit deſſel-
Pflicht! du erhabener großer Name, der du nichts
Beliebtes, was Einſchmeichelung bey ſich fuͤhrt, in dir
faſſeſt, ſondern Unterwerfung verlangſt, doch auch
nichts droheſt, was natuͤrliche Abneigung im Gemuͤthe
erregte und ſchreckte, um den Willen zu bewegen, ſon-
dern blos ein Geſetz aufſtellſt, welches von ſelbſt im
Gemuͤthe Eingang findet, und doch ſich ſelbſt wider
Willen Verehrung (wenn gleich nicht immer Befolgung)
erwirbt, vor dem alle Neigungen verſtummen, wenn ſie
gleich in Geheim ihm entgegen wirken, welches iſt der
deiner wuͤrdige Urſprung, und wo findet man die Wur-
zel deiner edlen Abkunft, welche alle Verwandtſchaft
mit Neigungen ſtolz ausſchlaͤgt, und von welcher Wurzel
abzuſtammen, die unnachlaßliche Bedingung desjenigen
Werths iſt, den ſich Menſchen allein ſelbſt geben koͤnnen?
Es kann nichts Minderes ſeyn, als was den
Menſchen uͤber ſich ſelbſt (als einen Theil der Sinnen-
welt) erhebt, was ihn an eine Ordnung der Dinge
knuͤpft, die nur der Verſtand denken kann, und die zu-
Auf dieſen Urſprung gruͤnden ſich nun manche
Ausdruͤcke, welche den Werth der Gegenſtaͤnde nach
moraliſchen Ideen bezeichnen. Das moraliſche Geſetz
iſt heilig (unverletzlich). Der Menſch iſt zwar unhei-
lig genug, aber die Menſchheit in ſeiner Perſon muß
ihm heilig ſeyn. In der ganzen Schoͤpfung kann al-
les, was man will, und woruͤber man etwas vermag,
auch blos als Mittel gebraucht werden; nur der
Menſch, und mit ihm jedes vernuͤnftige Geſchoͤpf, iſt
Dieſe Achtung erweckende Idee der Perſoͤnlichkeit,
welche uns die Erhabenheit unſerer Natur (ihrer Be-
ſtimmung nach) vor Augen ſtellt, indem ſie uns zugleich
den Mangel der Angemeſſenheit unſeres Verhaltens in
Anſehung derſelben bemerken laͤßt, und dadurch den
Eigenduͤnkel niederſchlaͤgt, iſt ſelbſt der gemeinſten Men-
ſchenvernunft natuͤrlich und leicht bemerklich. Hat nicht
jeder auch nur mittelmaͤßig ehrlicher Mann bisweilen ge-
funden, daß er eine ſonſt unſchaͤdliche Luͤge, dadurch
er ſich entweder ſelbſt, aus einem verdrießlichen Handel
ziehen, oder wol gar einem geliebten und verdienſt-
So iſt die aͤchte Triebfeder der reinen practiſchen
Vernunft beſchaffen; ſie iſt keine andere, als das reine
moraliſche Geſetz ſelber, ſo fern es uns die Erhabenheit
unſerer eigenen uͤberſinnlichen Exiſtenz ſpuͤren laͤßt,
und ſubjectiv, in Menſchen, die ſich zugleich ihres ſinn-
lichen Daſeyns und der damit verbundenen Abhaͤngig-
keit von ihrer ſo fern ſehr pathologiſch afficirten Natur
bewußt ſind, Achtung fuͤr ihre hoͤhere Beſtimmung
wirkt. Nun laſſen ſich mit dieſer Triebfeder gar wohl
ſo viele Reize und Annehmlichkeiten des Lebens verbin-
den, daß auch um dieſer willen allein ſchon die kluͤgſte
Wahl eines vernuͤnftigen und uͤber das groͤßte Wohl des
Lebens nachdenkenden Epicuraͤers ſich fuͤr das ſittliche
Wohlverhalten erklaͤren wuͤrde, und es kann auch
rathſam ſeyn, dieſe Ausſicht auf einen froͤhlichen Genuß
des Lebens mit jener oberſten und ſchon fuͤr ſich allein hin-
laͤnglich-beſtimmenden Bewegurſache zu verbinden; aber
nur um den Anlockungen, die das Laſter auf der Gegen-
ſeite vorzuſpiegeln nicht ermangelt, das Gegengewicht zu
halten, nicht um hierin die eigentliche bewegende Kraft,
auch nicht dem mindeſten Theile nach, zu ſetzen, wenn
von Pflicht die Rede iſt. Denn das wuͤrde ſo viel ſeyn,
als die moraliſche Geſinnung in ihrer Quelle verunrei-
nigen wollen. Die Ehrwuͤrdigkeit der Pflicht hat nichts
mit Lebensgenuß zu ſchaffen; ſie hat ihr eigenthuͤmliches
Geſetz, auch ihr eigenthuͤmliches Gericht, und wenn man
auch beide noch ſo ſehr zuſammenſchuͤtteln wollte, um
Ich verſtehe unter der critiſchen Beleuchtung einer
Wiſſenſchaft, oder eines Abſchnitts derſelben, der fuͤr
ſich ein Syſtem ausmacht, die Unterſuchung und Recht-
fertigung, warum ſie gerade dieſe und keine andere ſy-
ſtematiſche Form haben muͤſſe, wenn man ſie mit einem
anderen Syſtem vergleicht, das ein aͤhnliches Erkennt-
nißvermoͤgen zum Grunde hat. Nun hat practiſche
Vernunft mit der ſpeculativen ſo fern einerley Erkennt-
nißvermoͤgen zum Grunde, als beide reine Vernunft
ſind. Alſo wird der Unterſchied der ſyſtematiſchen
Form der einen, von der anderen, durch Vergleichung
beider beſtimmt und Grund davon angegeben werden
muͤſſen.
Die Analytik der reinen theoretiſchen Vernunft
hatte es mit dem Erkenntniſſe der Gegenſtaͤnde, die dem
Auch, daß dieſe Eintheilung in zwey Theile mit
deren Unterabtheilung nicht wirklich (ſo wie man wol
im Anfange durch das Beyſpiel der erſteren verleitet
werden konnte, zu verſuchen) hier vorgenommen wur-
de, davon laͤßt ſich auch der Grund gar wohl einſehen.
Betrachten wir nun aber auch den Inhalt der Er-
kenntniß, die wir von einer reinen practiſchen Vernunft,
und durch dieſelbe, haben koͤnnen, ſo wie ihn die Analy-
tik derſelben darlegt, ſo finden ſich, bey einer merkwuͤr-
digen Analogie zwiſchen ihr und der theoretiſchen, nicht
Die Unterſcheidung der Gluͤckſeligkeitslehre von
der Sittenlehre, in derer erſteren empiriſche Principien
das ganze Fundament, von der zweyten aber auch nicht
den mindeſten Beyſatz derſelben ausmachen, iſt nun in
der Analytik der reinen practiſchen Vernunft die erſte
und wichtigſte ihr obliegende Beſchaͤftigung, in der ſie
ſo puͤnctlich, ja, wenn es auch hieße, peinlich, ver-
fahren muß, als je der Geometer in ſeinem Geſchaͤfte.
Es kommt aber dem Philoſophen, der hier (wie jeder-
zeit im Vernunfterkenntniſſe durch bloße Begriffe, ohne
Conſtruction derſelben) mit groͤßerer Schwierigkeit zu
kaͤmpfen hat, weil er keine Anſchauung (reinem Nou-
men) zum Grunde legen kann, doch auch zu ſtatten:
daß er, beynahe wie der Chemiſt, zu aller Zeit ein Ex-
periment mit jedes Menſchen practiſcher Vernunft an-
ſtellen kann, um den moraliſchen (reinen) Beſtim-
mungsgrund vom empiriſchen zu unterſcheiden; wenn er
nemlich zu dem empiriſch-afficirten Willen (z. B. des-
jenigen, der gerne luͤgen moͤchte, weil er ſich dadurch
was erwerben kann) das moraliſche Geſetz (als Beſtim-
mungsgrund) zuſetzt. Es iſt, als ob der Scheidekuͤnſt-
ler der Solution der Kalkerde in Salzgeiſt Alkali zu-
ſetzt; der Salzgeiſt verlaͤßt ſo fort den Kalk, vereinigt
Aber dieſe Unterſcheidung des Gluͤckſeligkeitsprin-
cips von dem der Sittlichkeit, iſt darum nicht ſo fort
Entgegenſetzung beyder, und die reine practiſche Ver-
nunft will nicht, man ſolle die Anſpruͤche auf Gluͤckſe-
ligkeit aufgeben, ſondern nur, ſo bald von Pflicht die
Rede iſt, darauf gar nicht Ruͤckſicht nehmen. Es kann
ſogar in gewiſſem Betracht Pflicht ſeyn, fuͤr ſeine Gluͤck-
ſeligkeit zu ſorgen; theils weil ſie (wozu Geſchicklichkeit,
Geſundheit, Reichthum gehoͤrt) Mittel zu Erfuͤllung
ſeiner Pflicht enthaͤlt, theils weil der Mangel derſelben
Statt der Deduction des oberſten Princips der
reinen practiſchen Vernunft, d. i. der Erklaͤrung der
Moͤglichkeit einer dergleichen Erkenntniß a priori, konn-
te aber nichts weiter angefuͤhrt werden, als, daß, wenn
man die Moͤglichkeit der Freyheit einer wirkenden Urſa-
che einſaͤhe, man auch, nicht etwa blos die Moͤglichkeit,
ſondern gar die Nothwendigkeit des moraliſchen Geſe-
tzes, als oberſten practiſchen Geſetzes vernuͤnftiger We-
ſen, denen man Freyheit der Cauſalitaͤt ihres Willens
beylegt, einſehen wuͤrde; weil beide Begriffe ſo unzer-
trennlich verbunden ſind, daß man practiſche Freyheit
auch durch Unabhaͤngigkeit des Willens von jedem ande-
Der Begriff der Cauſalitaͤt, als Naturnothwen-
digkeit, zum Unterſchiede derſelben, als Freyheit, be-
trifft nur die Exiſtenz der Dinge, ſo fern ſie in der
Zeit beſtimmbar iſt, folglich als Erſcheinungen, im
Gegenſatze ihrer Cauſalitaͤt, als Dinge an ſich ſelbſt.
Nimmt man nun die Beſtimmungen der Exiſtenz der
Dinge in der Zeit fuͤr Beſtimmungen der Dinge an ſich
ſelbſt, (welches die gewoͤhnlichſte Vorſtellungsart iſt,)
ſo laͤßt ſich die Nothwendigkeit in Cauſalverhaͤltniſſe
mit der Freyheit auf keinerley Weiſe vereinigen; ſon-
dern ſie ſind einander contradictoriſch- entgegengeſetzt.
Denn aus der erſteren folgt: daß eine jede Begebenheit,
folglich auch jede Handlung, die in einem Zeitpuncte
vorgeht, unter der Bedingung deſſen, was in der vor-
hergehenden Zeit war, nothwendig ſey. Da nun die
vergangene Zeit nicht mehr in meiner Gewalt iſt, ſo
muß jede Handlung, die ich ausuͤbe, durch beſtimmen-
de Gruͤnde, die nicht in meiner Gewalt ſeyn, noth-
wendig ſeyn, d. i. ich bin in dem Zeitpuncte, darin ich
handle, niemals frey. Ja, wenn ich gleich mein gan-
zes Daſeyn als unabhaͤngig von irgend einer fremden
Urſache (etwa von Gott) annaͤhme, ſo daß die Beſtim-
mungsgruͤnde meiner Cauſalitaͤt, ſo gar meiner ganzen
Exiſtenz, gar nicht außer mir waͤren: ſo wuͤrde dieſes
jene Naturnothwendigkeit doch nicht im mindeſten in
Freyheit verwandeln. Denn in jedem Zeitpuncte ſtehe
ich doch immer unter der Nothwendigkeit, durch das zum
Will man alſo einem Weſen, deſſen Daſeyn in
der Zeit beſtimmt iſt, Freyheit beylegen: ſo kann man
es, ſo fern wenigſtens, vom Geſetze der Naturnothwen-
digkeit aller Begebenheiten in ſeiner Exiſtenz, mithin
auch ſeiner Handlungen, nicht ausnehmen; denn das
waͤre ſo viel, als es dem blinden Ungefehr uͤbergeben.
Da dieſes Geſetz aber unvermeidlich alle Cauſalitaͤt der
Dinge, ſo fern ihr Daſeyn in der Zeit beſtimmbar iſt,
betrifft, ſo wuͤrde, wenn dieſes die Art waͤre, wornach
man ſich auch das Daſeyn dieſer Dinge an ſich ſelbſt
vorzuſtellen haͤtte, die Freyheit, als ein nichtiger und
unmoͤglicher Begriff verworfen werden muͤſſen. Folg-
lich, wenn man ſie noch retten will, ſo bleibt kein Weg
uͤbrig, als das Daſeyn eines Dinges, ſo fern es in der
Zeit beſtimmbar iſt, folglich auch die Cauſalitaͤt nach
dem Geſetze der Naturnothwendigkeit, blos der Er-
ſcheinung, die Freyheit aber eben demſelben Weſen,
als Dinge an ſich ſelbſt, beyzulegen. So iſt es allerdings
unvermeidlich, wenn man beide einander widerwaͤrtige
Begriffe zugleich erhalten will; allein in der Anwendung,
wenn man ſie als in einer und derſelben Handlung ver-
Wenn ich von einem Menſchen, der einen Dieb-
ſtahl veruͤbt, ſage: dieſe That ſey nach dem Natur-
geſetze der Cauſalitaͤt aus den Beſtimmungsgruͤnden
der vorhergehenden Zeit ein nothwendiger Erfolg, ſo
war es unmoͤglich, daß ſie hat unterbleiben koͤnnen;
wie kann denn die Beurtheilung nach dem moraliſchen
Geſetze hierin eine Aenderung machen, und vorausſetzen,
daß ſie doch habe unterlaſſen werden koͤnnen, weil das
Geſetz ſagt, ſie haͤtte unterlaſſen werden ſollen, d. i.
wie kann derjenige, in demſelben Zeitpuncte, in Ab-
ſicht auf dieſelbe Handlung, ganz frey heißen, in wel-
chem, und in derſelben Abſicht, er doch unter einer un-
vermeidlichen Naturnothwendigkeit ſteht? Eine Ausflucht
darin ſuchen, daß man blos die Art der Beſtimmungs-
gruͤnde ſeiner Cauſalitaͤt nach dem Naturgeſetze einem
comparativen Begriffe von Freyheit anpaßt, (nach
welchem das bisweilen freye Wirkung heißt, davon der
beſtimmende Naturgrund innerlich im wirkenden We-
ſen liegt, z. B. das was ein geworfener Koͤrper verrich-
tet, wenn er in freyer Bewegung iſt, da man das Wort
Freyheit braucht, weil er, waͤhrend, daß er im Fluge
iſt, nicht von außen wodurch getrieben wird, oder wie
wir die Bewegung einer Uhr auch eine freye Bewegung
nennen, weil ſie ihren Zeiger ſelbſt treibt, der alſo
Um nun den ſcheinbaren Widerſpruch zwiſchen
Naturmechanismus und Freyheit in ein und derſelben
Handlung an dem vorgelegten Falle aufzuheben, muß
man ſich an das erinnern, was in der Critik der reinen
Vernunft geſagt war, oder daraus folgt: daß die Na-
turnothwendigkeit, welche mit der Freyheit des Sub-
jects nicht zuſammen beſtehen kann, blos den Be-
ſtimmungen desjenigen Dinges anhaͤngt, das unter
Zeitbedingungen ſteht, folglich nur dem des handeln-
den Subjects als Erſcheinung, daß alſo ſo fern die Be-
ſtimmungsgruͤnde einer jeden Handlung deſſelben in dem-
jenigen liegen, was zur vergangenen Zeit gehoͤrt, und
nicht mehr in ſeiner Gewalt iſt, (wozu auch ſeine
ſchon begangene Thaten, und der ihm dadurch be-
ſtimmbare Character in ſeinen eigenen Augen, als
Phaͤnomens, gezaͤhlt werden muͤſſen). Aber ebendaſ-
Hiemit ſtimmen auch die Richterausſpruͤche des-
jenigen wunderſammen Vermoͤgens in uns, welches
wir Gewiſſen nennen, vollkommen uͤberein. Ein Menſch
mag kuͤnſteln, ſo viel als er will, um ein geſetzwidri-
Aber noch ſteht eine Schwierigkeit der Freyheit
bevor, ſo fern ſie mit dem Naturmechanism, in einem
Weſen, das zur Sinnenwelt gehoͤrt, vereinigt werden
ſoll. Eine Schwierigkeit, die, ſelbſt nachdem alles
bisherige eingewilligt worden, der Freyheit dennoch
mit ihrem gaͤnzlichen Untergange droht. Aber bey
dieſer Gefahr giebt ein Umſtand doch zugleich Hoffnung
zu einem fuͤr die Behauptung der Freyheit noch gluͤck-
Wenn man uns nemlich auch einraͤumt, daß das
intelligibele Subject in Anſehung einer gegebenen
Handlung noch frey ſeyn kann, obgleich es als Sub-
ject, das auch zur Sinnenwelt gehoͤrig, in Anſehung
derſelben mechaniſch bedingt iſt, ſo ſcheint es doch,
man muͤſſe, ſo bald man annimmt, Gott, als allgemei-
nes Urweſen, ſey die Urſache auch der Exiſtenz der
Subſtanz (ein Satz, der niemals aufgegeben werden
darf, ohne den Begriff von Gott als Weſen aller We-
ſen, und hiemit ſeine Allgenugſamkeit, auf die alles in
der Theologie ankommt, zugleich mit aufzugeben), auch
einraͤumen. Die Handlungen des Menſchen haben in
demjenigen ihren beſtimmenden Grund, was gaͤnzlich
außer ihrer Gewalt iſt, nemlich in der Cauſalitaͤt ei-
nes von ihm unterſchiedenen hoͤchſten Weſens, von
welchem das Daſeyn des erſtern, und die ganze Be-
ſtimmung ſeiner Cauſalitaͤt ganz und gar abhaͤngt. In
Die Aufloͤſung obgedachter Schwierigkeit geſchicht,
kurz und einleuchtend, auf folgende Art: Wenn die
Exiſtenz in der Zeit eine bloße ſinnliche Vorſtellungsart
der denkenden Weſen in der Welt iſt, folglich ſie, als
Dinge an ſich ſelbſt, nicht angeht: ſo iſt die Schoͤpfung
dieſer Weſen eine Schoͤpfung der Dinge an ſich ſelbſt;
weil der Begriff einer Schoͤpfung nicht zu der ſinnlichen
Vorſtellungsart der Exiſtenz und zur Cauſalitaͤt gehoͤrt,
ſondern nur auf Noumenen bezogen werden kann. Folg-
lich, wenn ich von Weſen in der Sinnenwelt ſage: ſie
ſind erſchaffen; ſo betrachte ich ſie ſo fern als Noume-
nen. So, wie es alſo ein Widerſpruch waͤre, zu ſagen,
Gott ſey ein Schoͤpfer von Erſcheinungen, ſo iſt es
auch ein Widerſpruch, zu ſagen, er ſey, als Schoͤpfer,
Urſache der Handlungen in der Sinnenwelt, mithin als
Erſcheinungen, wenn er gleich Urſache des Daſeyns der
handelnden Weſen (als Noumenen) iſt. Iſt es nun
moͤglich, (wenn wir nur das Daſeyn in der Zeit fuͤr et-
was, was blos von Erſcheinungen, nicht von Dingen an
ſich ſelbſt gilt, annehmen,) die Freyheit, unbeſchadet
Von ſo großer Wichtigkeit iſt die in der Crit. der
r. ſpec. V. verrichtete Abſonderung der Zeit (ſo wie des
Raums) von der Exiſtenz der Dinge an ſich ſelbſt.
Die hier vorgetragene Aufloͤſung der Schwierig-
keit hat aber, wird man ſagen, doch viel Schweres in
ſich, und iſt einer hellen Darſtellung kaum empfaͤnglich.
Allein, iſt denn jede andere, die man verſucht hat, oder
verſuchen mag, leichter und faßlicher? Eher moͤchte
man ſagen, die dogmatiſchen Lehrer der Metaphyſik haͤt-
ten mehr ihre Verſchmitztheit als Aufrichtigkeit darin
bewieſen, daß ſie dieſen ſchwierigen Punct, ſo weit
wie moͤglich, aus den Augen brachten, in der Hoffnung,
daß, wenn ſie davon gar nicht ſpraͤchen, auch wol nie-
mand leichtlich an ihn denken wuͤrde. Wenn einer Wiſ-
ſenſchaft geholfen werden ſoll, ſo muͤſſen alle Schwierig-
keiten aufgedecket und ſogar diejenigen aufgeſucht wer-
Da es eigentlich der Begriff der Freyheit iſt, der
unter allen Ideen der reinen ſpeculativen Vernunft, al-
lein ſo große Erweiterung im Felde des Ueberſinnlichen,
wenn gleich nur in Anſehung des practiſchen Erkennt-
niſſes verſchafft, ſo frage ich mich: woher denn ihm
ausſchließungsweiſe eine ſo große Fruchtbarkeit zu
Theil geworden ſey, indeſſen die uͤbrigen zwar die leere
Stelle fuͤr reine moͤgliche Verſtandesweſen bezeichnen,
den Begriff von ihnen aber durch nichts beſtimmen koͤn-
nen. Ich begreife bald, daß, da ich nichts ohne Cate-
gorie denken kann, dieſe auch in der Idee der Ver-
nunft, von der Freyheit, mit der ich mich beſchaͤf-
tige, zuerſt muͤſſe aufgeſucht werden, welche hier
die Categorie der Cauſalitaͤt iſt, und daß ich,
wenn gleich dem Vernunftbegriffe der Freyheit,
Nur auf Eines ſey es mir erlaubt bey dieſer Gele-
genheit noch aufmerkſam zu machen, nemlich daß jeder
Schritt, den man mit der reinen Vernunft thut, ſogar
im practiſchen Felde, wo man auf ſubtile Speculation
gar nicht Ruͤckſicht nimmt, dennoch ſich ſo genau und
zwar von ſelbſt an alle Momente der Critik der theore-
tiſchen Vernunft anſchließe, als ob jeder mit uͤberlegter
Vorſicht, blos um dieſer Beſtaͤtigung zu verſchaffen, aus-
gedacht waͤre. Eine ſolche auf keinerley Weiſe geſuch-
te, ſondern (wie man ſich ſelbſt davon uͤberzeugen kann,
wenn man nur die moraliſchen Nachforſchungen bis zu
ihren Principien fortſetzen will) ſich von ſelbſt findende,
genaue Eintreffung der wichtigſten Saͤtze der practiſchen
Vernunft, mit denen oft zu ſubtil und unnoͤthig ſchei-
nenden Bemerkungen der Critik der ſpeculativen, uͤber-
raſcht und ſetzt in Verwunderung, und beſtaͤrkt die ſchon
von andern erkannte und geprieſene Maxime in jeder
wiſſenſchaftlichen Unterſuchung mit aller moͤglichen Ge-
nauigkeit und Offenheit ſeinen Gang ungeſtoͤrt fortzuſe-
Die reine Vernunft hat jederzeit ihre Dialectik, man
mag ſie in ihrem ſpeculativen oder practiſchen
Gebrauche betrachten; denn ſie verlangt die abſolute
Totalitaͤt der Bedingungen zu einem gegebenen Beding-
ten, und dieſe kann ſchlechterdings nur in Dingen an
ſich ſelbſt angetroffen werden. Da aber alle Begriffe
der Dinge auf Anſchauungen bezogen werden muͤſſen,
welche, bey uns Menſchen, niemals anders als ſinnlich
ſeyn koͤnnen, mithin die Gegenſtaͤnde, nicht als Dinge
an ſich ſelbſt, ſondern blos als Erſcheinungen erkennen
laſſen, in deren Reihe des Bedingten und der Bedin-
gungen das Unbedingte niemals angetroffen werden
kann, ſo entſpringt ein unvermeidlicher Schein aus der
Wie im ſpeculativen Gebrauche der reinen Ver-
nunft jene natuͤrliche Dialectik aufzuloͤſen, und der Irr-
thum, aus einem uͤbrigens natuͤrlichen Scheine, zu
verhuͤten ſey, kann man in der Critik jenes Vermoͤgens
ausfuͤhrlich antreffen. Aber der Vernunft in ihrem
practiſchen Gebrauche geht es um nichts beſſer. Sie
ſucht, als reine practiſche Vernunft, zu dem practiſch-
Bedingten (was auf Neigungen und Naturbeduͤrfniß
beruht) ebenfalls das Unbedingte, und zwar nicht als
Beſtimmungsgrund des Willens, ſondern, wenn dieſer auch
(im moraliſchen Geſetze) gegeben worden, die unbedingte
Totalitaͤt des Gegenſtandes der reinen practiſchen Ver-
nunft, unter dem Namen des hoͤchſten Guts.
Dieſe Idee practiſch-, d. i. fuͤr die Maxime unſe-
res vernuͤnftigen Verhaltens, hinreichend zu beſtimmen,
iſt die Weisheitslehre, und dieſe wiederum als Wiſ-
ſenſchaft, iſt Philoſophie, in der Bedeutung, wie
die Alten das Wort verſtanden, bey denen ſie eine An-
weiſung zu dem Begriffe war, worin das hoͤchſte Gut
zu ſetzen, und zum Verhalten, durch welches es zu er-
werben ſey. Es waͤre gut, wenn wir dieſes Wort
bey ſeiner alten Bedeutung ließen, als eine Lehre vom
hoͤchſten Gut, ſo fern die Vernunft beſtrebt iſt, es
darin zur Wiſſenſchaft zu bringen. Denn einestheils
wuͤrde die angehaͤngte einſchraͤnkende Bedingung dem
griechiſchen Ausdrucke (welcher Liebe zur Weisheit be-
deutet) angemeſſen und doch zugleich hinreichend ſeyn,
In Anſehung der Dialectik der reinen practiſchen
Vernunft, im Puncte der Beſtimmung des Begriffs
vom hoͤchſten Gute, (welche, wenn ihre Aufloͤſung
gelingt, eben ſowol, als die der theoretiſchen, die
wohlthaͤtigſte Wirkung erwarten laͤßt, dadurch daß die
aufrichtig angeſtellte und nicht verheelte Widerſpruͤche
der reinen practiſchen Vernunft mit ihr ſelbſt, zur voll-
ſtaͤndigen Critik ihres eigenen Vermoͤgens noͤthigen,)
haben wir nur noch eine Erinnerung voranzuſchicken.
Das moraliſche Geſetz iſt der alleinige Beſtim-
mungsgrund des reinen Willens. Da dieſes aber blos
formal iſt, (nemlich, allein die Form der Maxime, als
allgemein geſetzgebend, fodert,) ſo abſtrahirt es, als
Beſtimmungsgrund, von aller Materie, mithin von al-
lem Objecte, des Wollens. Mithin mag das hoͤchſte
Gut immer der ganze Gegenſtand einer reinen practi-
ſchen Vernunft, d. i. eines reinen Willens ſeyn, ſo iſt
es darum doch nicht fuͤr den Beſtimmungsgrund
deſſelben zu halten, und das moraliſche Geſetz muß al-
lein als der Grund angeſehen werden, jenes, und
deſſen Bewirkung oder Befoͤrderung, ſich zum Objecte
zu machen. Dieſe Erinnerung iſt in einem ſo delicaten
Es verſteht ſich aber von ſelbſt, daß, wenn im
Begriffe des hoͤchſten Guts das moraliſche Geſetz, als
oberſte Bedingung, ſchon mit eingeſchloſſen iſt, alsdenn
das hoͤchſte Gut nicht blos Object, ſondern auch ſein
Begriff, und die Vorſtellung der durch unſere practiſche
Vernunft moͤglichen Exiſtenz deſſelben zugleich der Be-
ſtimmungsgrund des reinen Willens ſey; weil alsdenn
in der That das in dieſem Begriffe ſchon eingeſchloſſene
und mitgedachte moraliſche Geſetz und kein anderer Ge-
genſtand, nach dem Princip der Avtonomie, den Wil-
len beſtimmt. Dieſe Ordnung der Begriffe von der
Willensbeſtimmung darf nicht aus den Augen gelaſſen
werden; weil man ſonſt ſich ſelbſt mißverſteht und ſich
zu widerſprechen glaubt, wo doch alles in der vollkom-
menſten Harmonie neben einander ſteht.
Der Begriff des Hoͤchſten enthaͤlt ſchon eine Zwey-
deutigkeit, die, wenn man darauf nicht Acht
hat, unnoͤthige Streitigkeiten veranlaſſen kann. Das
Hoͤchſte kann das Oberſte (ſupremum) oder auch das
Vollendete (conſummatum) bedeuten. Das erſtere
iſt diejenige Bedingung, die ſelbſt unbedingt d. i. kei-
ner andern untergeordnet iſt (originarium); das zwey-
te, dasjenige Ganze, das kein Theil eines noch groͤße-
ren Ganzen von derſelben Art iſt (perfectiſſimum).
Daß Tugend (als die Wuͤrdigkeit gluͤcklich zu ſeyn)
die oberſte Bedingung alles deſſen, was uns nur
wuͤnſchenswerth ſcheinen mag, mithin auch aller unſe-
rer Bewerbung um Gluͤckſeligkeit, mithin das oberſte
Gut ſey, iſt in der Analytik bewieſen worden. Darum
iſt ſie aber noch nicht das ganze und vollendete Gut,
als Gegenſtand des Begehrungsvermoͤgens vernuͤnfti-
ger endlicher Weſen; denn, um das zu ſeyn, wird auch
Gluͤckſeligkeit dazu erfodert, und zwar nicht blos in den
Zwey in einem Begriffe nothwendig verbundene
Beſtimmungen muͤſſen als Grund und Folge verknuͤpft
ſeyn, und zwar entweder ſo, daß dieſe Einheit als
analytiſch (logiſche Verknuͤpfung) oder als ſynthe-
tiſch (reale Verbindung), jene nach dem Geſetze der
Von den alten griechiſchen Schulen waren eigent-
lich nur zwey, die in Beſtimmung des Begriffs vom
hoͤchſten Gute ſo fern zwar einerley Methode befolg-
ten, daß ſie Tugend und Gluͤckſeligkeit nicht als zwey
verſchiedene Elemente des hoͤchſten Guts gelten ließen,
mithin die Einheit des Princips nach der Regel der
Identitaͤt ſuchten; aber darin ſchieden ſie ſich wiederum,
daß ſie unter beiden den Grundbegriff verſchiedentlich
waͤhlten. Der Epicuraͤer ſagte: ſich ſeiner auf Gluͤck-
ſeligkeit fuͤhrenden Maxime bewußt ſeyn, das iſt Tu-
gend; der Stoiker: ſich ſeiner Tugend bewußt ſeyn, iſt
Gluͤckſeligkeit. Dem erſtern war Klugheit ſo viel als
Sittlichkeit; dem zweyten, der eine hoͤhere Benennung
fuͤr die Tugend waͤhlete, war Sittlichkeit allein wahre
Weisheit.
Man muß bedauren, daß die Scharfſinnigkeit die-
fer Maͤnner (die man doch zugleich daruͤber bewundern
muß, daß ſie in ſo fruͤhen Zeiten ſchon alle erdenkliche
Wege philoſophiſcher Eroberungen verſuchten) ungluͤck-
lich angewandt war, zwiſchen aͤußerſt ungleichartigen
Begriffen, dem der Gluͤckſeligkeit und dem der Tugend,
Identitaͤt zu ergruͤbeln. Allein es war dem dialectiſchen
Geiſte ihrer Zeiten angemeſſen, was auch jetzt biswei-
len ſubtile Koͤpfe verleitet, weſentliche und nie zu ver-
einigende Unterſchiede in Principien dadurch aufzuhe-
ben, daß man ſie in Wortſtreit zu verwandeln ſucht,
und ſo, dem Scheine nach, Einheit des Begriffs blos
unter verſchiedenen Benennungen erkuͤnſtelt, und die-
ſes trifft gemeiniglich ſolche Faͤile, wo die Vereinigung
ungleichartiger Gruͤnde ſo tief oder hoch liegt, oder
eine ſo gaͤnzliche Umaͤnderung der ſonſt im philoſophi-
ſchen Syſtem angenommenen Lehren erfodern wuͤrde,
daß man Scheu traͤgt ſich in den realen Unterſchied tief
einzulaſſen, und ihn lieber als Uneinigkeit in bloßen For-
malien behandelt.
Indem beide Schulen Einerleyheit der practiſchen
Principien der Tugend und Gluͤckſeligkeit zu ergruͤbeln
ſuchten, ſo waren ſie darum nicht unter ſich einhellig,
wie ſie dieſe Identitaͤt herauszwingen wollten, ſondern
ſchieden ſich in unendliche Weiten von einander, indem
die eine ihr Princip auf der aͤſthetiſchen, die andere
auf der logiſchen Seite, jene im Bewußtſeyn der ſinn-
Nun iſt aber aus der Analytik klar, daß die Ma-
ximen der Tugend und die der eigenen Gluͤckſeligkeit in
Anſehung ihres oberſten practiſchen Princips ganz un-
gleichartig ſind, und, weit gefehlt, einhellig zu ſeyn,
ob ſie gleich zu einem hoͤchſten Guten gehoͤren, um das
letztere moͤglich zu machen, einander in demſelben Sub-
jecte gar ſehr einſchraͤnken und Abbruch thun. Alſo
In dem hoͤchſten fuͤr uns practiſchen, d. i. durch
unſern Willen wirklich zu machenden, Gute, werden Tu-
gend und Gluͤckſeligkeit als nothwendig verbunden ge-
dacht, ſo, daß das eine durch reine practiſche Vernunft
nicht angenommen werden kann, ohne daß das ande-
re auch zu ihm gehoͤre. Nun iſt dieſe Verbin-
dung (wie eine jede uͤberhaupt) entweder analytiſch,
oder ſynthetiſch. Da dieſe gegebene aber nicht
analytiſch ſeyn kann, wie nur eben vorher gezeigt
worden, ſo muß ſie ſynthetiſch, und zwar als Ver-
knuͤpfung der Urſache mit der Wirkung gedacht wer-
den; weil ſie ein practiſches Gut, d. i. was durch Hand-
lung moͤglich iſt, betrifft. Es muß alſo entweder die
Begierde nach Gluͤckſeligkeit die Bewegurſache zu Ma-
ximen der Tugend, oder die Maxime der Tugend muß die
wirkende Urſache der Gluͤckſeligkeit ſeyn. Das erſte iſt
ſchlechterdings unmoͤglich; weil (wie in der Analytik
bewieſen worden) Maximen, die den Beſtimmungs-
grund des Willens in dem Verlangen nach ſeiner Gluͤck-
ſeligkeit ſetzen, gar nicht moraliſch ſind, und keine Tu-
gend gruͤnden koͤnnen. Das zweyte iſt aber auch un-
moͤglich, weil alle practiſche Verknuͤpfung der Urſachen
und der Wirkungen in der Welt, als Erfolg der Wil-
In der Antinomie der reinen ſpeculativen Vernunft
findet ſich ein aͤhnlicher Widerſtreit zwiſchen Naturnoth-
wendigkeit und Freyheit, in der Cauſalitaͤt der Bege-
benheiten in der Welt. Er wurde dadurch gehoben,
daß bewieſen wurde, es ſey kein wahrer Widerſtreit,
Mit der vorliegenden Antinomie der reinen practi-
ſchen Vernunft iſt es nun eben ſo bewandt. Der erſte
von den zwey Saͤtzen, daß das Beſtreben nach Gluͤckſe-
ligkeit einen Grund tugendhafter Geſinnung hervorbrin-
ge, iſt ſchlechterdings falſch; der zweyte aber, daß
Tugendgeſinnung nothwendig Gluͤckſeligkeit hervorbrin-
ge, iſt nicht ſchlechterdings, ſondern nur ſo fern ſie als
die Form der Cauſalitaͤt in der Sinnenwelt betrachtet
wird, und, mithin, wenn ich das Daſeyn in derſelben
fuͤr die einzige Art der Exiſtenz des vernuͤnftigen Weſens
annehme, alſo nur bedingter Weiſe falſch. Da ich
aber nicht allein befugt bin, mein Daſeyn auch als
Noumenon in einer Verſtandeswelt zu denken, ſondern
ſogar am moraliſchen Geſetze einen rein intellectuellen
Beſtimmungsgrund meiner Cauſalitaͤt (in der Sinnen-
Alſo iſt, unerachtet dieſes ſcheinbaren Widerſtreits
einer practiſchen Vernunft mit ſich ſelbſt, das hoͤchſte
Gut der nothwendige hoͤchſte Zweck eines moraliſch be-
ſtimmten Willens, ein wahres Object derſelben; denn
es iſt practiſch moͤglich, und die Maximen des letzteren,
die ſich darauf ihrer Materie nach beziehen, haben ob-
jective Realitaͤt, welche anfaͤnglich durch jene Antino-
mie in Verbindung der Sittlichkeit mit Gluͤckſeligkeit
nach einem allgemeinen Geſetze getroffen wurde, aber
aus bloßem Mißverſtande, weil man das Verhaͤltniß
zwiſchen Erſcheinungen fuͤr ein Verhaͤltniß der Dinge
an ſich ſelbſt zu dieſen Erſcheinungen hielte.
Wenn wir uns genoͤthigt ſehen, die Moͤglichkeit
des hoͤchſten Guts, dieſes durch die Vernunft allen ver-
nuͤnftigen Weſen ausgeſteckten Ziels aller ihrer morali-
ſchen Wuͤnſche, in ſolcher Weite, nemlich in der Ver-
knuͤpfung mit einer intelligibelen Welt, zu ſuchen, ſo
Andrerſeits aber liegt hier immer der Grund zu ei-
nem Fehler des Erſchleichens (vitium ſubreptionis)
und gleichſam einer optiſchen Illuſion in dem Selbſtbe-
wußtſeyn deſſen, was man thut, zum Unterſchiede deſſen
was man empfindet, die auch der verſuchteſte nicht voͤl-
Hat man aber nicht ein Wort, welches nicht einen
Genuß, wie das der Gluͤckſeligkeit, bezeichnete, aber
doch ein Wohlgefallen an ſeiner Exiſtenz, ein Analogon
der Gluͤckſeligkeit, welche das Bewußtſeyn der Tugend
Hieraus laͤßt ſich verſtehen: wie das Bewußtſeyn
dieſes Vermoͤgens einer reinen practiſchen Vernunft durch
That (die Tugend) ein Bewußtſeyn der Obermacht
uͤber ſeine Neigungen, hiemit alſo der Unabhaͤngigkeit
von denſelben, folglich auch der Unzufriedenheit, die
dieſe immer begleitet, und alſo ein negatives Wohlge-
fallen mit ſeinem Zuſtande, d. i. Zufriedenheit, her-
vorbringen koͤnne, welche in ihrer Quelle Zufriedenheit
mit ſeiner Perſon iſt. Die Freyheit ſelbſt wird auf
ſolche Weiſe (nemlich indirect) eines Genuſſes faͤhig,
Aus dieſer Aufloͤſung der Antinomie der practi-
ſchen reinen Vernunft folgt, daß ſich in practiſchen
Grundſaͤtzen eine natuͤrliche und nothwendige Verbin-
dung zwiſchen dem Bewußtſeyn der Sittlichkeit, und
der Erwartung einer ihr proportionirten Gluͤckſeligkeit,
als Folge derſelben, wenigſtens als moͤglich denken
(darum aber freylich noch eben nicht erkennen und ein-
ſehen) laſſe: dagegen, daß Grundſaͤtze der Bewerbung
um Gluͤckſeligkeit unmoͤglich Sittlichkeit hervorbringen
koͤnnen: daß alſo das oberſte Gut (als die erſte Be-
dingung des hoͤchſten Guts) Sittlichkeit, Gluͤckſeligkeit
dagegen zwar das zweyte Element deſſelben ausmache,
doch ſo, daß dieſe nur die moraliſch-bedingte, aber
doch nothwendige Folge der erſteren ſey. In dieſer
Unterordnung allein iſt das hoͤchſte Gut das ganze Ob-
ject der reinen practiſchen Vernunft, die es ſich noth-
wendig als moͤglich vorſtellen muß, weil es ein Gebot
derſelben iſt, zu deſſen Hervorbringung alles Moͤgliche
Unter dem Primate zwiſchen zweyen oder mehreren
durch Vernunft verbundenen Dingen verſtehe ich den
Vorzug des einen, der erſte Beſtimmungsgrund der
Verbindung mit allen uͤbrigen zu ſeyn. In engerer,
practiſchen Bedeutung bedeutet es den Vorzug des In-
tereſſe des einen, ſo fern ihm (welches keinem andern
nachgeſetzt werden kann) das Intereſſe der andern un-
Wenn practiſche Vernunft nichts weiter annehmen
und als gegeben denken darf, als was ſpeculative Ver-
nunft fuͤr ſich, ihr aus ihrer Einſicht darreichen konnte,
ſo fuͤhrt dieſe das Primat. Geſetzt aber, ſie haͤtte fuͤr
ſich urſpruͤngliche Principien a priori, mit denen gewiſſe
theoretiſche Poſitionen unzertrennlich verbunden waͤren,
die ſich gleichwol aller moͤglichen Einſicht der ſpeculati-
ven Vernunft entzoͤgen, (ob ſie zwar derſelben auch
nicht widerſprechen muͤßten) ſo iſt die Frage, welches
In der That, ſo fern practiſche Vernunft als pa-
thologiſch bedingt, d. i. das Intereſſe der Neigungen
unter dem ſinnlichen Princip der Gluͤckſeligkeit blos ver-
waltend, zum Grunde gelegt wuͤrde, ſo ließe ſich dieſe
Zumuthung an die ſpeculative Vernunft gar nicht thun.
Mahomets Paradies, oder der Theoſophen und My-
ſtiker ſchmelzende Vereinigung mit der Gottheit, ſo
wie jedem ſein Sinn ſteht, wuͤrden der Vernunft ihre
In der Verbindung alſo der reinen ſpeculativen
mit der reinen practiſchen Vernunft zu einem Erkennt-
niſſe fuͤhrt die letztere das Primat, vorausgeſetzt nem-
lich, daß dieſe Verbindung nicht etwa zufaͤllig und be-
Die Bewirkung des hoͤchſten Guts in der Welt iſt das
nothwendige Object eines durchs moraliſche Geſetz be-
ſtimmbaren Willens. In dieſem aber iſt die voͤllige
Angemeſſenheit der Geſinnungen zum moraliſchen Ge-
ſetze die oberſte Bedingung des hoͤchſten Guts. Sie
muß alſo eben ſowol moͤglich ſeyn, als ihr Object, weil
Dieſer unendliche Progreſſus iſt aber nur unter
Vorausſetzung einer ins Unendliche fortdaurenden Exi-
ſtenz und Perſoͤnlichkeit deſſelben vernuͤnftigen Weſens
(welche man die Unſterblichkeit der Seele nennt,) moͤg-
lich. Alſo iſt das hoͤchſte Gut, practiſch, nur unter
der Vorausſetzung der Unſterblichkeit der Seele moͤglich;
mithin dieſe, als unzertrennlich mit dem moraliſchen
Geſetz verbunden, ein Poſtulat der reinen practi-
ſchen Vernunft (worunter ich einen theoretiſchen, als
ſolchen aber nicht erweislichen Satz verſtehe, ſo fern er
einem a priori unbedingt geltenden practiſchen Geſetze
unzertrennlich anhaͤngt).
Der Satz von der moraliſchen Beſtimmung unſe-
rer Natur, nur allein in einem ins Unendliche gehen-
den Fortſchritte zur voͤlligen Angemeſſenheit mit dem
Das moraliſche Geſetz fuͤhrete in der vorhergehenden
Zergliederung zur practiſchen Aufgabe, welche, ohne
allen Beytritt ſinnlicher Triebfedern, blos durch reine
Vernunft vorgeſchrieben wird, nemlich der nothwendi-
gen Vollſtaͤndigkeit des erſten und vornehmſten Theils
des hoͤchſten Guts, der Sittlichkeit, und, da
dieſe nur in einer Ewigkeit voͤllig aufgeloͤſet werden
kann, zum Poſtulat der Unſterblichkeit. Eben dieſes
Geſetz muß auch zur Moͤglichkeit des zweyten Elements
des hoͤchſten Guts, nemlich der jener Sittlichkeit ange-
meſſenen Gluͤckſeligkeit, eben ſo uneigennuͤtzig,
Gluͤckſeligkeit iſt der Zuſtand eines vernuͤnftigen
Weſens in der Welt, dem es, im Ganzen ſeiner Exi-
ſtenz, alles nach Wunſch und Willen geht, und
beruhet alſo auf der Uebereinſtimmung der Natur zu
ſeinem ganzen Zwecke, imgleichen zum weſentlichen Be-
ſtimmungsgrunde ſeines Willens. Nun gebietet das mo-
raliſche Geſetz, als ein Geſetz der Freyheit, durch Be-
ſtimmungsgruͤnde, die von der Natur und der Ueber-
einſtimmung derſelben zu unſerem Begehrungsvermoͤgen
(als Triebfedern) ganz unabhaͤngig ſeyn ſollen; das
handelnde vernuͤnftige Weſen in der Welt aber iſt doch
nicht zugleich Urſache der Welt und der Natur ſelbſt.
Alſo iſt in dem moraliſchen Geſetze nicht der mindeſte
Grund zu einem nothwendigen Zuſammenhang zwiſchen
Sittlichkeit und der ihr proportionirten Gluͤckſeligkeit
eines zur Welt als Theil gehoͤrigen, und daher von ihr
abhaͤngigen, Weſens, welches eben darum durch ſeinen
Willen nicht Urſache dieſer Natur ſeyn, und ſie, was
ſeine Gluͤckſeligkeit betrifft, mit ſeinen practiſchen Grund-
Hier iſt nun wohl zu merken, daß dieſe moraliſche
Rothwendigkeit ſubjectiv, d. i. Beduͤrfniß, und nicht
objectiv, d. i. ſelbſt Pflicht ſey; denn es kann gar keine
Pflicht geben, die Exiſtenz eines Dinges anzunehmen
(weil dieſes blos den theoretiſchen Gebrauch der Ver-
nunft angeht). Auch wird hierunter nicht verſtanden,
daß die Annehmung des Daſeyns Gottes, als eines
Grundes aller Verbindlichkeit uͤberhaupt, nothwen-
dig ſey (denn dieſer beruht, wie hinreichend bewieſen
worden, lediglich auf der Avtonomie der Vernunft ſelbſt).
Zur Pflicht gehoͤrt hier nur die Bearbeitung zu Her-
vorbringung und Befoͤrderung des hoͤchſten Guts in der
Welt, deſſen Moͤglichkeit alſo poſtulirt werden kann,
Aus dieſer Deduction wird es nunmehr begreif-
lich, warum die griechiſchen Schulen zur Aufloͤſung ih-
res Problems von der practiſchen Moͤglichkeit des hoͤch-
ſten Guts niemals gelangen konnten; weil ſie nur im-
mer die Regel des Gebrauchs, den der Wille des Men-
ſchen von ſeiner Freyheit macht, zum einzigen und fuͤr
ſich allein zureichenden Grunde derſelben machten, ohne,
ihrem Beduͤnken nach, das Daſeyn Gottes dazu zu beduͤr-
fen. Zwar thaten ſie daran recht, daß ſie das Princip
der Sitten unabhaͤngig von dieſem Poſtulat, fuͤr ſich
ſelbſt, aus dem Verhaͤltniß der Vernunft allein zum
Willen, feſtſetzten, und es mithin zur oberſten practi-
ſchen Bedingung des hoͤchſten Guts machten; es war
aber darum nicht die ganze Bedingung der Moͤglichkeit
Die Lehre des Chriſtenthums *), wenn man ſie
auch noch nicht als Religionslehre betrachtet, giebt in
Auf ſolche Weiſe fuͤhrt das moraliſche Geſetz durch
den Begriff des hoͤchſten Guts, als das Object und den
Endzweck der reinen practiſchen Vernunft, zur Religion,
d. i. zur Erkenntniß aller Pflichten als goͤttlicher Ge-
bote, nicht als Sanctionen, d. i. willkuͤhrliche fuͤr
ſich ſelbſt zufaͤllige Verordnungen, eines fremden
Willens, ſondern als weſentlicher Geſetze eines jeden
freyen Willens fuͤr ſich ſelbſt, die aber dennoch als Ge-
bote des hoͤchſten Weſens angeſehen werden muͤſſen, weil
wir nur von einem moraliſch-vollkommenen, (heiligen
und guͤtigen) zugleich auch allgewaltigen Willen, das
hoͤchſte Gut, welches zum Gegenſtande unſerer Beſtre-
bung zu ſetzen uns das moraliſche Geſetz zur Pflicht
macht, und alſo durch Uebereinſtimmung mit dieſem
Willen dazu zu gelangen hoffen koͤnnen. Auch hier
bleibt daher alles uneigennuͤtzig und blos auf Pflicht ge-
gruͤndet; ohne daß Furcht oder Hoffnung als Triebfe-
dern zum Grunde gelegt werden duͤrften, die, wenn ſie
zu Principien werden, den ganzen moraliſchen Werth
der Handlungen vernichten. Das moraliſche Geſetz ge-
bietet, das hoͤchſte moͤgliche Gut in einer Welt mir zum
letzten Gegenſtande alles Verhaltens zu machen. Die-
ſes aber kann ich nicht zu bewirken hoffen, als nur durch
die Uebereinſtimmung meines Willens mit dem eines
heiligen und guͤtigen Welturhebers, und, obgleich in
dem Begriffe des hoͤchſten Guts, als dem eines Gan-
zen, worin die groͤßte Gluͤckſeligkeit mit dem groͤßten
Daher iſt auch die Moral nicht eigentlich die Leh-
re, wie wir uns gluͤcklich machen, ſondern wie wir
der Gluͤckſeligkeit wuͤrdig werden ſollen. Nur denn,
wenn Religion dazu kommt, tritt auch die Hoffnung
ein, der Gluͤckſeligkeit dereinſt in dem Maaße theilhaftig
zu werden, als wir darauf bedacht geweſen, ihrer nicht
unwuͤrdig zu ſeyn.
Wuͤrdig iſt jemand des Beſitzes einer Sache,
oder eines Zuſtandes, wenn, daß er in dieſem Beſitze
ſey, mit dem hoͤchſten Gute zuſammenſtimmt. Man
kann jetzt leicht einſehen, daß alle Wuͤrdigkeit auf das
ſittliche Verhalten ankomme, weil dieſes im Begriffe
des hoͤchſten Guts die Bedingung des uͤbrigen, (was
zum Zuſtande gehoͤrt) nemlich des Antheils an Gluͤck-
ſeligkeit ausmacht. Nun folgt hieraus: daß man die
Moral an ſich niemals als Gluͤckſeligkeitslehre behan-
deln muͤſſe, d. i. als eine Anweiſung der Gluͤckſeligkeit theil-
haftig zu werden; denn ſie hat es lediglich mit der
Auch kann man hieraus erſehen: daß, wenn
man nach dem letzten Zwecke Gottes in Schoͤpfung
der Welt fraͤgt, man nicht die Gluͤckſeligkeit der ver-
nuͤnftigen Weſen in ihr, ſondern das hoͤchſte Gut nen-
nen muͤſſe, welches jenem Wunſche dieſer Weſen noch
eine Bedingung, nemlich die der Gluͤckſeligkeit wuͤrdig
zu ſeyn, d. i. die Sittlichkeit eben derſelben vernuͤnfti-
gen Weſen, hinzufuͤgt, die allein den Maaßſtab ent-
haͤlt, nach welchem ſie allein der erſteren, durch die
Hand eines weiſen Urhebers, theilhaftig zu werden
hoffen koͤnnen. Denn, da Weisheit, theoretiſch be-
trachtet, die Erkenntniß des hoͤchſten Guts, und pra-
ctiſch, die Angemeſſenheit des Willens zum hoͤchſten
Gute bedeutet, ſo kann man einer hoͤchſten ſelbſtſtaͤn-
digen Weisheit nicht einen Zweck beylegen, der blos
Daß, in der Ordnung der Zwecke, der Menſch
(mit ihm jedes vernuͤnftige Weſen) Zweck an ſich ſelbſt
ſey, d. i. niemals blos als Mittel von jemanden (ſelbſt
nicht von Gott) ohne zugleich hiebey ſelbſt Zweck zu
ſeyn, koͤnne gebraucht werden, daß alſo die Menſch-
heit in unſerer Perſon uns ſelbſt heilig ſeyn muͤſſe, folgt
nunmehr von ſelbſt, weil er das Subject des mora-
liſchen Geſetzes, mithin deſſen iſt, was an ſich heilig
iſt, um deſſen willen und in Einſtimmung mit welchem
auch uͤberhaupt nur etwas heilig genannt werden kann.
Denn dieſes moraliſche Geſetz gruͤndet ſich auf der Av-
tonomie ſeines Willens, als eines freyen Willens, der
nach ſeinen allgemeinen Geſetzen nothwendig zu demje-
nigen zugleich muß einſtimmen koͤnnen, welchem er
ſich unterwerfen ſoll.
Sie gehen alle vom Grundſatze der Moralitaͤt aus,
der kein Poſtulat, ſondern ein Geſetz iſt, durch welches
Vernunft mittelbar den Willen beſtimmt, welcher Wille
eben dadurch, daß er ſo beſtimmt iſt, als reiner Wille,
dieſe nothwendige Bedingungen der Befolgung ſeiner
Vorſchrift fodert. Dieſe Poſtulate ſind nicht theoreti-
ſche Dogmata, ſondern Vorausſetzungen in nothwen-
dig practiſcher Ruͤckſicht, erweitern alſo zwar das ſpe-
culative Erkenntniß, geben aber den Ideen der ſpecu-
lativen Vernunft im Allgemeinen (vermittelſt ihrer
Beziehung aufs Practiſche) objective Realitaͤt, und be-
rechtigen ſie zu Begriffen, deren Moͤglichkeit auch nur
zu behaupten ſie ſich ſonſt nicht anmaaßen koͤnnte.
Dieſe Poſtulate ſind die der Unſterblichkeit, der
Freyheit, poſitiv betrachtet, (als der Cauſalitaͤt eines
Weſens, ſo fern es zur intelligibelen Welt gehoͤrt,) und
des Daſeyns Gottes. Das erſte fließt aus der pra-
ctiſch nothwendigen Bedingung der Angemeſſenheit der
Dauer zur Vollſtaͤndigkeit der Erfuͤllung des moraliſchen
Geſetzes; das zweyte aus der nothwendigen Voraus-
ſetzung der Unabhaͤngigkeit von der Sinnenwelt und des
Vermoͤgens der Beſtimmung ſeines Willens, nach dem
Die durch die Achtung fuͤrs moraliſche Geſetz
nothwendige Abſicht aufs hoͤchſte Gut und daraus
fließende Vorausſetzung der objectiven Realitaͤt deſſelben,
fuͤhrt alſo durch Poſtulate der practiſchen Vernunft zu
Begriffen, welche die ſpeculative Vernunft zwar als
Aufgaben vortragen, ſie aber nicht aufloͤſen konnte.
Alſo 1. zu derjenigen, in deren Aufloͤſung die letztere
nichts, als Paralogismen begehen konnte, (nemlich
der Unſterblichkeit) weil es ihr am Merkmale der Be-
harrlichkeit fehlete, um den pſychologiſchen Begriff ei-
nes letzten Subjects, welcher der Seele im Selbſtbe-
wußtſeyn nothwendig beygelegt wird, zur realen Vor-
ſtellung einer Subſtanz zu ergaͤnzen, welches die practi-
ſche Vernunft, durch das Poſtulat, einer zur Ange-
meſſenheit mit dem moraliſchen Geſetze im hoͤchſten Gu-
te, als dem ganzen Zwecke der practiſchen Vernunft,
erforderlichen Dauer, ausrichtet. 2. Fuͤhrt ſie zu dem,
wovon die ſpeculative Vernunft nichts als Antinomie
enthielt, deren Aufloͤſung ſie nur auf einem problema-
tiſch zwar denkbaren, aber ſeiner objectiven Realitaͤt
nach fuͤr ſie nicht erweislichen und beſtimmbaren Be-
griffe gruͤnden konnte, nemlich die coſmologiſche Idee
Wird nun aber unſer Erkenntniß auf ſolche Art
durch reine practiſche Vernunft wirklich erweitert, und
iſt das, was fuͤr die ſpeculative transſcendent war,
in der practiſchen immanent? Allerdings, aber nur
in practiſcher Abſicht. Denn wir erkennen zwar da-
durch weder unſerer Seele Natur, noch die intelligi-
bele Welt, noch das hoͤchſte Weſen, nach dem, was ſie
an ſich ſelbſt ſind, ſondern haben nur die Begriffe von
ihnen im practiſchen Begriffe des hoͤchſten Guts ver-
einigt, als dem Objecte unſeres Willens, und voͤllig
a priori, durch reine Vernunft, aber nur vermittelſt
des moraliſchen Geſetzes, und auch blos in Beziehung
auf daſſelbe, in Anſehung des Objects, das es gebietet.
Wir wollen dieſe Frage, um nicht zu abſtract zu
werden, ſofort in Anwendung auf den vorliegenden
Fall beantworten. — Um ein reines Erkenntniß pra-
ctiſch zu erweitern, muß eine Abſicht a priori gegeben
ſeyn, d. i. ein Zweck, als Object (des Willens), wel-
ches, unabhaͤngig von allen theologiſchen Grundſaͤtzen,
durch einen den Willen unmittelbar beſtimmenden (ca-
tegoriſchen) Imperativ, als practiſch-nothwendig vor-
geſtellt wird, und das iſt hier das hoͤchſte Gut. Die-
ſes iſt aber nicht moͤglich, ohne drey theoretiſche Begriffe
(fuͤr die ſich, weil ſie bloße reine Vernunftbegriffe ſind,
Zu jedem Gebrauche der Vernunft in Anſehung
eines Gegenſtandes werden reine Verſtandesbegriffe
(Categorien) erfodert, ohne die kein Gegenſtand ge-
dacht werden kann. Dieſe koͤnnen zum theoretiſchen
Gebrauche der Vernunft, d. i. zu dergleichen Erkennt-
niß nur angewandt werden, ſo fern ihnen zugleich An-
ſchauung (die jederzeit ſinnlich iſt) untergelegt wird,
und alſo blos, um durch ſie ein Object moͤglicher Erfah-
rung vorzuſtellen. Nun ſind hier aber Ideen der Ver-
nunft, die in gar keiner Erfahrung gegeben werden
koͤnnen, das, was ich durch Categorien denken muͤßte,
um es zu erkennen. Allein es iſt hier auch nicht um
das theoretiſche Erkenntniß der Objecte dieſer Ideen,
ſondern nur darum, daß ſie uͤberhaupt Objecte haben,
zu thun. Dieſe Realitaͤt verſchafft reine practiſche
Vernunft, und hiebey hat die theoretiſche Vernunft nichts
weiter zu thun, als jene Objecte durch Categorien blos
zu denken, welches, wie wir ſonſt deutlich gewieſen
haben, ganz wohl, ohne Anſchauung (weder ſinnliche,
noch uͤberſinnliche) zu beduͤrfen, angeht, weil die Ca-
Wenn, naͤchſtdem, dieſe Ideen von Gott, einer
intelligibelen Welt (dem Reiche Gottes) und der Un-
ſterblichkeit durch Praͤdicate beſtimmt werden, die von
unſerer eigenen Natur hergenommen ſind, ſo darf man
dieſe Beſtimmung weder als Verſinnlichung jener reinen
Vernunftideen (Anthropomorphismen), noch als uͤber-
ſchwengliches Erkenntniß uͤberſinnlicher Gegenſtaͤnde
anſehen; denn dieſe Praͤdicate ſind keine andere als
Dieſes letztere iſt ſo augenſcheinlich, und kann ſo
klar durch die That bewieſen werden, daß man getroſt
alle vermeynte natuͤrliche Gottesgelehrte (ein wun-
derlicher Name) *) auffodern kann, auch nur eine dieſen
ihren Gegenſtand (uͤber die blos onkologiſchen Praͤdicate
hinaus) beſtimmende Eigenſchaft, etwa des Verſtan-
des, oder des Willens, zu nennen, an der man nicht
unwiderſprechlich darthun koͤnnte, daß, wenn man
Nach dieſen Erinnerungen iſt nun auch die Beant-
wortung der wichtigen Frage leicht zu finden: Ob der
Begriff von Gott ein zur Phyſik (mithin auch zur
Metaphyſik, als die nur die reinen Principien a priori
der erſteren in allgemeiner Bedeutung enthaͤlt) oder
ein zur Moral gehoͤriger Begriff ſey. Natureinrich-
tungen, oder deren Veraͤnderung zu erklaͤren, wenn
man da zu Gott, als dem Urheber aller Dinge, ſeine
Zuflucht nimmt, iſt wenigſtens keine phyſiſche Erklaͤrung,
und uͤberall ein Geſtaͤndniß, man ſey mit ſeiner Philo-
ſophie zu Ende; weil man genoͤthigt iſt, etwas, wovon
Ich verſuche nun dieſen Begriff an das Object der
practiſchen Vernunft zu halten, und da finde ich, daß
der moraliſche Grundſatz ihn nur als moͤglich, unter
Vorausſetzung eines Welturhebers von hoͤchſter Voll-
kommenheit, zulaſſe. Er muß allwiſſend ſeyn, um
mein Verhalten bis zum Innerſten meiner Geſinnung in
allen moͤglichen Faͤllen und in alle Zukunft zu erkennen;
allmaͤchtig, um ihm die angemeſſenen Folgen zu erthei-
len; eben ſo allgegenwaͤrtig, ewig, u. ſ. w. Mithin
beſtimmt das moraliſche Geſetz durch den Begriff des
hoͤchſten Guts, als Gegenſtandes einer reinen practiſchen
Vernunft, den Begriff des Urweſens als hoͤchſten We-
ſens, welches der phyſiſche (und hoͤher fortgeſetzt der
metaphyſiſche) mithin der ganze ſpeculative Gang der
Vernunft nicht bewirken konnte. Alſo iſt der Begriff
von Gott ein urſpruͤnglich nicht zur Phyſik, d. i.
fuͤr die ſpeculative Vernunft, ſondern zur Mo-
ral gehoͤriger Begriff, und eben das kann man auch
von den uͤbrigen Vernunftbegriffen ſagen, von denen
wir, als Poſtulaten derſelben in ihrem practiſchen Ge-
brauche, oben gehandelt haben.
Wenn man in der Geſchichte der griechiſchen Phi-
loſophie uͤber den Anaxagoras hinaus keine deutliche
Spuren einer reinen Vernunfttheologie antrifft, ſo iſt der
Grund nicht darin gelegen, daß es den aͤlteren Philo-
ſophen an Verſtande und Einſicht fehlte, um durch den
Weg der Speculation, wenigſtens mit Beyhuͤlfe einer
ganz vernuͤnftigen Hypotheſe, ſich dahin zu erheben;
was konnte leichter, was natuͤrlicher ſeyn, als der ſich
von ſelbſt jedermann darbietende Gedanke, ſtatt unbe-
ſtimmter Grade der Vollkommenheit verſchiedener Welt-
urſachen, eine einzige vernuͤnftige anzunehmen, die al-
le Vollkommenheit hat? Aber die Uebel in der Welt
ſchienen ihnen viel zu wichtige Einwuͤrfe zu ſeyn, um
zu einer ſolchen Hypotheſe ſich fuͤr berechtigt zu halten.
Mithin zeigten ſie darin eben Verſtand und Einſicht, daß
ſie ſich jene nicht erlaubten, und vielmehr in den Natur-
urſachen herum ſuchten, ob ſie unter ihnen nicht die zu
Urweſen erfoderliche Beſchaffenheit und Vermoͤgen an-
treffen moͤchten. Aber nachdem dieſes ſcharfſinnige
Volk ſo weit in Nachforſchungen fortgeruͤckt war, ſelbſt
ſittliche Gegenſtaͤnde, daruͤber andere Voͤlker niemals
mehr als geſchwatzt haben, philoſophiſch zu behandeln:
da fanden ſie allererſt ein neues Beduͤrfniß, nemlich ein
practiſches, welches nicht ermangelte ihnen den Begriff
des Urweſens beſtimmt anzugeben, wobey die ſpeculati-
ve Vernunft das Zuſehen hatte, hoͤchſtens noch das
Verdienſt, einen Begriff, der nicht auf ihrem Boden er-
Aus dieſen Erinnerungen wird der Leſer der Crit.
d. r. ſpec. Vernunft ſich vollkommen uͤberzeugen: wie
hoͤchſtnoͤthig, wie erſprießlich fuͤr Theologie und Moral,
jene muͤhſame Deduction der Categorien war. Denn
dadurch allein kann verhuͤtet werden, ſie, wenn man ſie
im reinen Verſtande ſetzt, mit Plato, fuͤr angebohren
zu halten, und darauf uͤberſchwengliche Anmaaßungen
mit Theorien des Ueberſinnlichen, wovon man kein En-
de abſieht, zu gruͤnden, dadurch aber die Theologie
zur Zauberlaterne von Hirngeſpenſtern zu machen; wenn
man ſie aber fuͤr erworben haͤlt, zu verhuͤten, daß man
nicht, mit Epicur, allen und jeden Gebrauch derſelben,
ſelbſt den in practiſcher Abſicht, blos auf Gegenſtaͤnde
und Beſtimmungsgruͤnde der Sinne einſchraͤnke. Nun
aber, nachdem die Critik in jener Deduction erſtlich be-
wies, daß ſie nicht empiriſchen Urſprungs ſeyn, ſondern
a priori im reinen Verſtande ihren Sitz und Quelle ha-
ben; zweytens auch, daß, da ſie auf Gegenſtaͤnde uͤber-
haupt, unabhaͤngig von ihrer Anſchauung, bezogen wer-
Ein Beduͤrfniß der reinen Vernunft in ihrem ſpecu-
lativen Gebrauche fuͤhrt nur auf Hypotheſen, das der
Um bey dem Gebrauche eines noch ſo ungewohn-
ten Begriffs, als der eines reinen practiſchen Vernunft-
Oben hatte ich geſagt, daß, nach einem bloßen
Naturgange in der Welt, die genau dem ſittlichen Wer-
the angemeſſene Gluͤckſeligkeit nicht zu erwarten und
fuͤr unmoͤglich zu halten ſey, und daß alſo die Moͤglich-
keit des hoͤchſten Guts, von dieſer Seite, nur unter
Vorausſetzung eines moraliſchen Welturhebers koͤnne
eingeraͤumt werden. Ich hielt mit Vorbedacht mit
der Einſchraͤnkung dieſes Urtheils auf die ſubjectiven
Bedingungen unſerer Vernunft zuruͤck, um nur dann
allererſt, wenn die Art ihres Fuͤrwahrhaltens naͤher
beſtimmt werden ſollte, davon Gebrauch zu machen.
In der That iſt die genannte Unmoͤglichkeit blos ſub-
jectiv, d. i. unſere Vernunft findet es ihr unmoͤglich,
ſich einen ſo genau angemeſſenen und durchgaͤngig zweck-
maͤßigen Zuſammenhang, zwiſchen zwey nach ſo ver-
ſchiedenen Geſetzen ſich eraͤugnenden Weltbegebenheiten,
nach einem bloßen Naturlaufe, begreiflich zu machen;
ob ſie zwar, wie bey allem, was ſonſt in der Natur
zweckmaͤßiges iſt, die Unmoͤglichkeit deſſelben nach all-
Allein jetzt kommt ein Entſcheidungsgrund von an-
derer Art ins Spiel, um im Schwanken der ſpeculati-
ven Vernunft den Ausſchlag zu geben. Das Gebot, das
hoͤchſte Gut zu befoͤrdern, iſt objectiv (in der practiſchen
Vernunft), die Moͤglichkeit deſſelben uͤberhaupt gleich-
falls objectiv (in der theoretiſchen Vernunft, die nichts
dawider hat,) gegruͤndet. Allein die Art, wie wir uns
dieſe Moͤglichkeit vorſtellen ſollen, ob nach allgemeinen
Naturgeſetzen, ohne einen der Natur vorſtehenden wei-
ſen Urheber, oder nur unter deſſen Vorausſetzung, das
kann die Vernunft objectiv nicht entſcheiden. Hier
tritt nun eine ſubjective Bedingung der Vernunft ein:
die einzige ihr theoretiſch moͤgliche, zugleich der Mo-
ralitaͤt (die unter einem objectiven Geſetze der Ver-
nunft ſteht,) allein zutraͤgliche Art, ſich die genaue Zu-
ſammenſtimmung des Reichs der Natur mit dem Reiche
der Sitten, als Bedingung der Moͤglichkeit des hoͤch-
ſten Guts, zu denken. Da nun die Befoͤrderung deſſel-
ben, und alſo die Vorausſetzung ſeiner Moͤglichkeit,
objectiv (aber nur der practiſchen Vernunft zu Folge,)
nothwendig iſt, zugleich aber die Art, auf welche Weiſe
wir es uns als moͤglich denken wollen, in unſerer Wahl
ſteht, in welcher aber ein freyes Intereſſe der reinen
practiſchen Vernunft fuͤr die Annehmung eines weiſen
Welturhebers entſcheidet: ſo iſt das Princip, was unſer
Wenn die menſchliche Natur zum hoͤchſten Gute zu
ſtreben beſtimmt iſt, ſo muß auch das Maaß ihrer Er-
kenntnißvermoͤgen, vornehmlich ihr Verhaͤltniß unter
einander, als zu dieſem Zwecke ſchicklich, angenommen
werden. Nun beweiſet aber die Critik der reinen ſpe-
culativen Vernunft die groͤßte Unzulaͤnglichkeit derſel-
Geſetzt nun, ſie waͤre hierin unſerem Wunſche
willfaͤhrig geweſen, und haͤtte uns diejenige Einſichts-
faͤhigkeit, oder Erleuchtung ertheilt, die wir gerne be-
ſitzen moͤchten, oder in deren Beſitz einige wol gar
waͤhnen ſich wirklich zu befinden, was wuͤrde allem
Anſehn nach wol die Folge hievon ſeyn? Wofern nicht
zugleich unſere ganze Natur umgeaͤndert waͤre, ſo wuͤrden
die Neigungen, die doch allemal das erſte Wort haben,
zuerſt ihre Befriedigung, und, mit vernuͤnftiger Ueber-
legung verbunden, ihre groͤßtmoͤgliche und daurende
Befriedigung, unter dem Namen der Gluͤckſeligkeit,
verlangen; das moraliſche Geſetz wuͤrde nachher ſpre-
chen, um jene in ihren geziemenden Schranken zu hal-
ten, und ſogar ſie alle insgeſamt einem hoͤheren, auf
keine Neigung Ruͤckſicht nehmenden, Zwecke zu unter-
werfen. Aber, ſtatt des Streits, den jetzt die mora-
liſche Geſinnung mit den Neigungen zu fuͤhren hat, in
Unter der Methodenlehre der reinen practiſchen
Vernunft kann man nicht die Art (ſowol im
Nachdenken als im Vortrage) mit reinen practiſchen
Grundſaͤtzen in Abſicht auf ein wiſſenſchaftliches Er-
kenntniß derſelben zu verfahren, verſtehen, welches man
ſonſt im theoretiſchen eigentlich allein Methode nennt,
(denn populaͤres Erkenntniß bedarf einer Manier,
Wiſſenſchaft aber einer Methode, d. i. eines Verfahrens
nach Principien der Vernunft, wodurch das Mannig-
faltige einer Erkenntniß allein ein Syſtem werden
kann). Vielmehr wird unter dieſer Methodenlehre
die Art verſtanden, wie man den Geſetzen der reinen
practiſchen Vernunft Eingang in das menſchliche Ge-
muͤth, Einfluß auf die Maximen deſſelben verſchaffen,
d. i. die objectiv-practiſche Vernunft auch ſubjectiv
practiſch machen koͤnne.
Nun iſt zwar klar, daß diejenigen Beſtimmungs-
gruͤnde des Willens, welche allein die Maximen eigent-
lich moraliſch machen und ihnen einen ſittlichen Werth
geben, die unmittelbare Vorſtellung des Geſetzes und
die objectiv-nothwendige Befolgung deſſelben als Pflicht,
als die eigentlichen Triebfedern der Handlungen vorge-
ſtellt werden muͤſſen; weil ſonſt zwar Legalitaͤt der
Zwar kann man nicht in Abrede ſeyn, daß, um
ein entweder noch ungebildetes, oder auch verwildertes
Gemuͤth zuerſt ins Gleis des moraliſch-Guten zu brin-
gen, es einiger vorbereitenden Anleitungen beduͤrfe, es
durch ſeinen eigenen Vortheil zu locken, oder durch den
Schaden zu ſchrecken; allein, ſo bald dieſes Maſchinen-
werk, dieſes Gaͤngelband nur einige Wirkung gethan hat,
ſo muß durchaus der reine moraliſche Bewegungsgrund
an die Seele gebracht werden, der nicht allein dadurch,
daß er der einzige iſt, welcher einen Character (practi-
ſche conſequente Denkungsart nach unveraͤnderlichen
Maximen) gruͤndet, ſondern auch darum, weil er den
Menſchen ſeine eigene Wuͤrde fuͤhlen lehrt, dem Ge-
muͤthe eine ihm ſelbſt unerwartete Kraft giebt, ſich von
aller ſinnlichen Anhaͤnglichkeit, ſo fern ſie herrſchend
werden will, loszureißen, und in der Unabhaͤngigkeit
ſeiner intelligibelen Natur und der Seelengroͤße, dazu
Wenn man auf den Gang der Geſpraͤche in ge-
miſchten Geſellſchaften, die nicht blos aus Gelehrten
Ich weiß nicht, warum die Erzieher der Jugend
von dieſem Hange der Vernunft, in aufgeworfenen
practiſchen Fragen ſelbſt die ſubtilſte Pruͤfung mit
Vergnuͤgen einzuſchlagen, nicht ſchon laͤngſt Gebrauch
gemacht haben, und, nachdem ſie einen blos moraliſchen
Catechism zum Grunde legten, ſie nicht die Biographien
alter und neuer Zeiten in der Abſicht durchſuchten, um
Belaͤge zu den vorgelegten Pflichten bey der Hand zu
haben, an denen ſie, vornehmlich durch die Verglei-
chung aͤhnlicher Handlungen unter verſchiedenen Um-
ſtaͤnden, die Beurtheilung ihrer Zoͤglinge in Thaͤtigkeit
ſetzten, um den mindern oder groͤßeren moraliſchen Ge-
halt derſelben zu bemerken, als worin ſie ſelbſt die
fruͤhe Jugend, die zu aller Speculation ſonſt noch un-
reif iſt, bald ſehr ſcharfſichtig, und dabey, weil ſie den
Fortſchritt ihrer Urtheilskraft fuͤhlt, nicht wenig inter-
eſſirt finden werden, was aber das vornehmſte iſt, mit
Sicherheit hoffen koͤnnen, daß die oͤftere Uebung, das
Wohlverhalten in ſeiner ganzen Reinigkeit zu kennen
und ihm Beyfall zu geben, dagegen ſelbſt die kleinſte
Abweichung von ihr mit Bedauern oder Verachtung zu
bemerken, ob es zwar bis dahin nur ein Spiel der Ur-
theilskraft, in welchem Kinder mit einander wetteifern
koͤnnen, getrieben wird, dennoch einen dauerhaften
Eindruck der Hochſchaͤtzung auf der einen und des Ab-
ſcheues auf der andern Seite zuruͤcklaſſen werde, welche,
durch bloße Gewohnheit ſolche Handlungen als Bey-
Wenn man aber fraͤgt: was denn eigentlich die
reine Sittlichkeit iſt, an der, als dem Probemetall,
man jeder Handlung moraliſchen Gehalt pruͤfen muͤſſe,
ſo muß ich geſtehen, daß nur Philoſophen die Entſchei-
dung dieſer Frage zweifelhaft machen koͤnnen; denn in
der gemeinen Menſchenvernunft iſt ſie, zwar nicht durch
abgezogene allgemeine Formeln, aber doch durch den
gewoͤhnlichen Gebrauch, gleichſam als der Unterſchied
zwiſchen der rechten und linken Hand, laͤngſt entſchieden.
Wir wollen alſo vorerſt das Pruͤfungsmerkmal der rei-
nen Tugend an einem Beyſpiele zeigen, und indem wir
uns vorſtellen, daß es etwa einem zehnjaͤhrigen Knaben
zur Beurtheilung vorgelegt worden, ſehen, ob er auch
von ſelber, ohne durch den Lehrer dazu angewieſen zu
ſeyn, nothwendig ſo urtheilen muͤßte. Man erzaͤhle
die Geſchichte eines redlichen Mannes, den man bewe-
gen will, den Verleumdern einer unſchuldigen, uͤbri-
gens nichts vermoͤgenden Perſon (wie etwa Anna von
Bolen auf Anklage Heinrich VIII. von England) bey-
zutreten. Man bietet Gewinne, d. i. große Geſchenke
oder hohen Rang an, er ſchlaͤgt ſie aus. Dieſes wird
bloßen Beyfall und Billigung in der Seele des Zuhoͤ-
rers wirken, weil es Gewinn iſt. Nun faͤngt man es
mit Androhung des Verluſts an. Es ſind unter dieſen
In unſern Zeiten, wo man mehr mit ſchmelzen-
den weichherzigen Gefuͤhlen, oder hochfliegenden, auf-
blaͤhenden und das Herz eher welk, als ſtark, machen-
den Anmaaßungen uͤber das Gemuͤth mehr auszurich-
ten hofft, als durch die der menſchlichen Unvollkom-
menheit und dem Fortſchritte im Guten angemeßnere
trockne und ernſthafte Vorſtellung der Pflicht, iſt
die Hinweiſung auf dieſe Methode noͤthiger, als jemals.
Kindern Handlungen als edele, großmuͤthige, verdienſt-
liche zum Muſter aufzuſtellen, in der Meynung, ſie
durch Einfloͤßung eines Enthuſiaſmus fuͤr dieſelbe einzu-
nehmen, iſt vollends zweckwidrig. Denn da ſie noch
in der Beobachtung der gemeinſten Pflicht und ſelbſt in
der richtigen Beurtheilung derſelben ſo weit zuruͤck ſind,
ſo heißt das ſo viel, als ſie bey Zeiten zu Phantaſten
zu machen. Aber auch bey dem belehrtern und erfahr-
nern Theil der Menſchen iſt dieſe vermeynte Triebfeder,
wo nicht von nachtheiliger, wenigſtens von keiner aͤch-
ten moraliſchen Wirkung aufs Herz, die man dadurch
doch hat zuwegebringen wollen.
Alle Gefuͤhle, vornemlich die, ſo ungewohnte
Anſtrengung bewirken ſollen, muͤſſen in dem Augenbli-
cke, da ſie in ihrer Heftigkeit ſind, und ehe ſie verbrau-
ſen, ihre Wirkung thun, ſonſt thun ſie nichts; indem
Laßt uns nun im Beyſpiele ſehen, ob in der Vor-
ſtellung einer Handlung als edler und großmuͤthiger
Handlung mehr ſubjectiv bewegende Kraft einer Trieb-
feder liege, als, wenn dieſe blos als Pflicht in Verhaͤlt-
niß auf das ernſte moraliſche Geſetz vorgeſtellt wird.
Die Handlung, da jemand, mit der groͤßten Gefahr des
Lebens, Leute aus dem Schiffbruche zu retten ſucht,
wenn er zuletzt dabey ſelbſt ſein Leben einbuͤßt, wird zwar
einerſeits zur Pflicht, andererſeits aber und groͤßtentheils
auch fuͤr verdienſtliche Handlung angerechnet, aber
unſere Hochſchaͤtzung derſelben wird gar ſehr durch den
Begriff von Pflicht gegen ſich ſelbſt, welche hier etwas
Abbruch zu leiden ſcheint, geſchwaͤcht. Entſcheidender
iſt die großmuͤthige Aufopferung ſeines Lebens zur Er-
haltung des Vaterlandes, und doch, ob es auch ſo voll-
kommen Pflicht ſey, ſich von ſelbſt und unbefohlen dieſer
Abſicht zu weihen, daruͤber bleibt einiger Scrupel uͤbrig,
und die Handlung hat nicht die ganze Kraft eines Mu-
ſters und Antriebes zur Nachahmung in ſich. Iſt es
aber unerlaßliche Pflicht, deren Uebertretung das mo-
raliſche Geſetz an ſich und ohne Ruͤckſicht auf Menſchen-
wohl verletzt, und deſſen Heiligkeit gleichſam mit Fuͤßen
tritt, (dergleichen Pflichten man Pflichten gegen Gott
zu nennen pflegt, weil wir uns in ihm das Ideal der
Heiligkeit in Subſtanz denken,) ſo widmen wir der Be-
folgung deſſelben, mit Aufopferung alles deſſen, was
fuͤr die innigſte aller unſerer Neigungen nur immer ei-
Wenn wir irgend etwas Schmeichelhaftes vom
Verdienſtlichen in unſere Handlung bringen koͤnnen,
denn iſt die Triebfeder ſchon mit Eigenliebe etwas ver-
miſcht, hat alſo einige Beyhuͤlfe von der Seite der Sinn-
lichkeit. Aber der Heiligkeit der Pflicht allein alles nach-
ſetzen, und ſich bewußt werden, daß man es koͤnne, weil
unſere eigene Vernunft dieſes als hir Gebot anerkennt,
und ſagt, daß man es thun ſolle, das heißt ſich gleich-
ſam uͤber die Sinnenwelt ſelbſt gaͤnzlich erheben, und
iſt in demſelben Bewußtſeyn des Geſetzes auch als Trieb-
feder eines die Sinnlichkeit beherrſchenden Vermoͤgens
Die Methode nimmt alſo folgenden Gang. Zuerſt
iſt es nur darum zu thun, die Beurtheilung nach mo-
raliſchen Geſetzen zu einer natuͤrlichen, alle unſere eigene,
ſowol als die Beobachtung fremder freyer Handlungen
begleitenden Beſchaͤfftigung und gleichſam zur Gewohn-
heit zu machen, und ſie zu ſchaͤrfen, indem man vorerſt
fraͤgt, ob die Handlung objectiv dem moraliſchen Ge-
ſetze, und welchem, gemaͤß ſey; wobey man denn die
Aufmerkſamkeit auf dasjenige Geſetz, welches blos einen
Grund zur Verbindlichkeit an die Hand giebt, von dem
unterſcheidet, welches in der That verbindend iſt (le-
ges obligandi a legibus obligantibus), (wie z. B. das
Geſetz desjenigen, was das Beduͤrfniß der Menſchen
im Gegenſatze deſſen, was das Recht derſelben von mir
fordert, wovon das Letztere weſentliche, das Erſtere aber
nur außerweſentliche Pflichten vorſchreibt,) und ſo ver-
ſchiedene Pflichten, die in einer Handlung zuſammen-
kommen, unterſcheiden lehrt. Der andere Punct, wor-
auf die Aufmerkſamkeit gerichtet werden muß, iſt die
Frage: ob die Handlung auch (ſubjectiv) um des mo-
Aber dieſe Beſchaͤfftigung der Urtheilskraft, wel-
che uns unſere eigene Erkenntnißkraͤfte fuͤhlen laͤßt, iſt
Ich habe hiemit nur auf die allgemeinſten Maximen
der Methodenlehre einer moraliſchen Bildung und Ue-
bung hinweiſen wollen. Da die Mannigfaltigkeit der
Pflichten fuͤr jede Art derſelben noch beſondere Beſtim-
mungen erforderte, und ſo ein weitlaͤuftiges Geſchaͤffte
ausmachen wuͤrde, ſo wird man mich fuͤr entſchuldigt
halten, wenn ich, in einer Schrift, wie dieſe, die nur
Voruͤbung iſt, es bey dieſen Grundzuͤgen bewenden
laſſe.
Zwey Dinge erfuͤllen das Gemuͤth mit immer neuer
und zunehmenden Bewunderung und Ehrfurcht, je oͤfter
und anhaltender ſich das Nachdenken damit beſchaͤfftigt:
Der beſtirnte Himmel uͤber mir, und das moraliſche
Geſetz in mir. Beide darf ich nicht als in Dunkelhei-
ten verhuͤllt, oder im Ueberſchwenglichen, außer mei-
nem Geſichtskreiſe, ſuchen und blos vermuthen; ich ſe-
Allein, Bewunderung und Achtung koͤnnen zwar
zur Nachforſchung reizen, aber den Mangel derſelben
nicht erſetzen. Was iſt nun zu thun, um dieſe, auf nutz-
bare und der Erhabenheit des Gegenſtandes angemeſſene
Art, anzuſtellen? Beyſpiele moͤgen hiebey zur War-
nung, aber auch zur Nachahmung dienen. Die Welt-
betrachtung fing von dem herrlichſten Anblicke an, den
menſchliche Sinne nur immer vorlegen, und unſer Ver-
ſtand, in ihrem weiten Umfange zu verfolgen, nur im-
mer vertragen kann, und endigte — mit der Stern-
deutung. Die Moral fing mit der edelſten Eigenſchaft
in der menſchlichen Natur an, deren Entwickelung und
Cultur auf unendlichen Nutzen hinausſieht, und endigte
— mit der Schwaͤrmerey, oder dem Aberglauben.
So geht es allen noch rohen Verſuchen, in denen der
vornehmſte Theil des Geſchaͤfftes auf den Gebrauch der
Vernunft ankommt, der nicht, ſo wie der Gebrauch
der Fuͤße, ſich von ſelbſt, vermittelſt der oͤftern Ausuͤbung,
findet, vornemlich wenn er Eigenſchaften betrifft, die
ſich nicht ſo unmittelbar in der gemeinen Erfahrung dar-
ſtellen laſſen. Nachdem aber, wiewol ſpaͤt, die Maxime
in Schwang gekommen war, alle Schritte vorher wohl
zu uͤberlegen, die die Vernunft zu thun vorhat, und
ſie nicht anders, als im Gleiſe einer vorher wohl uͤber-
dachten Methode, ihren Gang machen zu laſſen, ſo be-
Dieſen Weg nun in Behandlung der moraliſchen
Anlagen unſerer Natur gleichfalls einzuſchlagen, kann
uns jenes Beyſpiel anraͤthig ſeyn, und Hoffnung zu
aͤhnlichem guten Erfolg geben. Wir haben doch die
Beyſpiele der moraliſch-urtheilenden Vernunft bey Hand.
Dieſe nun in ihre Elementarbegriffe zu zergliedern, in
Ermangelung der Mathematik aber ein der Chemie
aͤhnliches Verfahren, der Scheidung des Empiriſchen
vom Rationalen, das ſich in ihnen vorfinden moͤchte,
in wiederholten Verſuchen am gemeinen Menſchenver-
ſtande vorzunehmen, kann uns Beydes rein, und, was
Jedes fuͤr ſich allein leiſten koͤnne, mit Gewißheit kenn-
bar machen, und ſo, theils der Verirrung einer noch
rohen ungeuͤbten Beurtheilung, theils (welches weit.
noͤthiger iſt) den Genieſchwuͤngen vorbeugen, durch
welche, wie es von Adepten des Steins der Weiſen zu
geſchehen pflegt, ohne alle methodiſche Nachforſchung